Vier Tage Stockholm

Donnerstag Morgen begrüßte uns mit Sonnenschein und frischen 14 Grad, und wir hatten uns seit langem mal wieder einen Wecker gestellt. Eigentlich unfassbar beim Segeln, aber manchmal gibt es auch dabei Termine.

In diesem Fall die Schleusenzeit um 08.30 Uhr, kurz danach gefolgt von der Brückenöffnung um neun Uhr. Ganz interessant ist übrigens die Bezahlweise für die Schleusennutzung: unterschieden wird in nord- und südfahrende Schiffe, wobei in Södertälje nur die Südnutzer einmalig SEK 180 (also ca. € 17) bezahlen und wir als Nordfahrende erst in der Stockholm-Schleuse zur Kasse gebeten werden. Und, wie überall, bloß kein Bargeld. Während man sich bzw. das Schiff an den blauen Halteleinen dicht an der Schleusenmauer festhält, nähert sich ein Mitarbeiter mit kleinem Kredtikartenlesegerät, kassiert und schon geht es auch weiter. Diese Schleusen sind mit rund 140 m Länge recht kurz und der Wasserausgleich beträgt auch nur ca. 60 Zentimeter. Alles in allem geht das sehr zügig.

In der Schleuse Södertälje

Übrigens hatten wir echt Glück am Morgen. Ich fand ja, dass wir viel zu früh ablegen wollten, da es von unserem Liegeplatz hin zur Schleuse gerade mal 100 Meter waren. Micha wollte aber los, und siehe da, kaum hatten wir uns positioniert und waren einem Arbeitsschiff ausgewichen, dass mit ordentlichem Tempo direkt auf die Schleuseneinfahrt zuhielt, war diese auch schon geöffnet, und wir düsten hinterher. Nur ein Segler schaffte es noch, zumal es ja erst 8.15 Uhr war. Ok, der frühe Vogel…. 🙂

Hinter der Schleuse steckten wir mitten in der Großbaustelle, sahen uns starkem Gegenwind in enger Fahrrinne sowie diversen aktiven und Lärmmachenden Bauschiffen ausgesetzt und durften das 30 Minuten “aushalten”. Nee, war keine Freude. Und als endlich grün wurde und wir weiter konnten, haben wir ordentlich Gas gegeben. Das war aber eh notwendig, wenn man bei fünf bis sechs Windstärken von vorne voran kommen wollte. Je breiter sich das Fahrwasser in Richtung Mälarenmeer öffnete, desto höher war die Wellenbildung, und wir haben uns einfach hinter der Sprayhood verkrochen.

Nach 1,5 Stunden erreichten wir unseren Waypoint, an dem wir rechts abbiegen und somit herrlich halben Wind zum Segeln erwarten konnten. Und sobald die Gewässer wieder schmaler wurden, sich rechts und links mehr Wald zeigte und Inseln umfahren wurden, desto mehr hatten wir mit Wechseln zwischen wenig, kein und plötzlich wieder viel Wind aus wechselnden Richtungen zu tun.

Gemäß Murphys Law kommt so eine Böe genau dann, wenn der volle Kaffeebecher gerade kurz auf dem Cockpit-Tisch abgestellt wurde und das Schiff ordentlich krängt – dann siegt die Schwerkraft. 😯 Meine Segelhose verträgt so was, die Polster und das Cockpit lassen sich abwischen, der Kaffeebecher blieb heil, und wir waren mal zehn Minuten mit Reinigungsarbeiten beschäftigt. Gut, dass die vor uns querende Fähre noch weit weg war.

Echten Spaß hatten wir dann, als wir auf Gegenwindkurs drehen mussten und segelnd voran kommen wollten. Hart am Wind zu segeln, keinen Meter zu verschenken und bei den Böen richtig anzugreifen, um sich bloß vom flachen Ufer zu entfernen, ist ordentlich Arbeit – und wahre Freude.

Mittags erreichten wir die Liljeholmsbron, eine Stadtbrücke mit knapp 14 Meter Durchfahrthöhe, was für uns mal wieder 30 Minuten Warten auf die Öffnung bedeutete. Aber, so ist das halt, wenn man von Südwesten nach Stockholm hinein fahren will: es dauert zusätzlich zwei Schleusen- und fünf Brückenöffnungen – es sei denn, der eigene Mast ist maximal 11 Meter hoch.

Bei der Hammerby-Schleuse kurz vor Stockholms Innenstadt hatten wir dann Glück, die Gegenseite war schon fast durch, es gab einen Wartesteg,

und gleich danach waren wir mittendrin. Wir kamen uns vor, wie in der Hamburger Hafencity mit lauter Neubauten am Ufer.

Bewohner oder Touristen waren hier kaum zu sehen.

Eine altmodische Hubbrücke wurde unser Tor zur Stockholmer Hafenwelt, und kurze Zeit später fuhren wir in unseren Zielhafen Navishamn ein. Dieser wurde uns mehrfach empfohlen, da er zentrumsnah, aber direkt an der grünen Halbinsel Djurgarden liegt.

Vorab aber noch eine Zusammenfassung der Brücken- und Schleusenerlebnisse auf dem Törn von Södertälje nach Stockholm:

Zu unserer Überraschung, war im geschützten Innenbecken noch genau ein Liegeplatz frei – eine Situation, die wir erst später im Sommer bzw. am Wochenende erwartet hätten. Was soll’s, ein Platz reicht, und dieser verschaffte uns nicht nur eine verhältnismäßig ruhige Ecke, sondern auch die Nachbarschaft von Robert Redford.

Ja, richtig gelesen, denn optisch blieb da kein Zweifel, Robert Redford im besten Alter von 50 half uns beim Anlegen. Ihr versteht sicher, dass ein Foto zu aufdringlich gewesen wäre… 🙄

Vesselfinder zeigte die Dichte an Freizeit- (pink) und Berufsschiffen (grün), die sich in der Stadt tummelten. Links, schräg gegenüber von uns, ist eins der Kreuzfahrtterminals, an dem AIDA und Mein Schiff sowie die großen Fähren zu den Alands/Finnland festmachten. Schon gewaltig, wenn die sich in Bewegung setzen und mitten in der Fahrrinne um 180 Grad drehen. Dann passt da keiner mehr dran vorbei; immerhin sind diese Schiffe knapp 300 Meter lang – und bleiben ein optischer Fremdkörper, meiner Meinung nach.

Insgesamt ist der Schiffsverkehr erheblich in dieser Gegend, was sich leider durch starken Schwell im Hafenbecken bemerkbar macht. Alle Segel- und Motorboote rollen stetig hin und her, und wir hätten evtl. schaukelruhiger in einem der beiden anderen Innenstadt-Gästehäfen gelegen. ABER, dort wäre eh kein Platz gewesen, da aktuell eine große Segel-Regatta von hier aus startet und der Haupthafen komplett für die Racer geblockt ist.

Im Navishamn lagen wir fernab der Touristenmagnete direkt an einem schönen Park

und ließen den Abend entspannt ausklingen.

Unser erster Trip mittels Straßenbahn brachte uns dicht an die Gamla Stan, DIE Altstadt Stockholms, heran. Hier finden sich bedeutende historische Gebäude wie z.B. das Königliche Schloss, aber vor allen Dingen, enge Gassen mit kleinen Plätzen, die sich entlang beige-orange gestrichener alter Giebelhäuser, Cafés, Restaurants und Geschäfte ziehen.

Die Hauptstraßen, die die Altstadtinsel säumen, erinnern uns sehr an den Ballindamm bzw. Jungfernstieg in Hamburg. Breite Fußwege (übrigens hier ergänzt um herrlich breite Radwege ohne parkende Autos), Bäume, herrschaftliche Häuser und überall Uferpromenaden mit großem Barkassenangebot.

In dieser Sommerzeit findet das Leben der Stockholmer (wie wahrscheinlich aller Schweden) bis spät abends draußen statt. An jeder 5. Straßenecke hört man Musik, viele Kneipen locken mit Live-Bands und im Tivoli – heißt hier Gröna Lund – oder auch im Skansen, dem lokalen Freilichtmuseum “Kiekeberg”, finden abends Konzerte statt. Es wird nicht nur nicht dunkel, sondern auch nicht wirklich still.

Auf dem nächsten Google-Bild lassen sich unsere weiteren Ausflugsziele erkennen.

Zuerst eine Radtour durch den hügeligen Djurgarden, mal entlang der Ostsee, mal an einem Kanal oder auch durch den Wald.

Auf dieser Halbinsel findet man viele erhaltene Herrenhäuser mit wunderbar gepflegten Gärten und ein weiteres Schloss .

Und dann hinein ins Tourigetümmel, in das VASA-Museum. Ehrlich muss ich anmerken, dass ich mit meinem Grobwissen über ein altes Schiff, etwas skeptisch war. Ein weiteres Schifffahrtsmuseum mit alten Bildern in Goldrahmen, alten Miniatur-Modellen und restaurierten Gallionsfiguren hätte mich nicht gereizt.

Und in dem Moment, als wir DAS Schiff erblickten, waren wir sprachlos. Fast schon ergriffen, standen wir minutenlang auf der gleichen Stelle und bestaunten den Koloss.

Diese Sicht gewinnt man auf der Eingangsebene, die auf Etage vier angesiedelt ist. Wir konnten bis zum sechsten Level hoch oder auch bis zum Kiel fast rund herum gehen, und dabei viel über den Aufbau lernen. Das Schiff mit 98% seiner Originalteile ist komplett in dieser 34 Meter hohen Haupthalle untergebracht, wobei nur die Mastspitzen aus dem Dach heraus schauen.

Die Geschichte um dieses auf seiner Jungfernfahrt gesunkene Kriegsschiff lautet wie folgt: 1625 ließ der damalige schwedische König diese Galeone zur Verstärkung seiner Flotte gegen Polen im 30jährigen Krieg und als Prestigeobjekt bauen. Der holländische Schiffsbaumeister ließ Zimmerleute 1000 passende Eichen in den umliegenden Wäldern fällen und konstruierte anhand überlieferter Proportionen die gewünschte Galeone mit einem Kanonendeck. Damals gab es halt noch keine Pläne und Detailzeichnungen.

Wenige Monate nach Baubeginn ließ der König aufrüsten: da der dänische König wohl ein ähnliches Schiff bauen ließ, sollte das schwedische noch mehr Feuerkraft aufweisen, und so wurden auf einem oberen Deck Kanonen in gleicher Anzahl und Größe wie unten installiert. Auf die Lagestabilität (bei begrenzte Anzahl an Ballaststeinen im Rumpf) hatte dies eine verheerende Wirkung. Das Schiff wurde topplastig, und die erhöhte Masse sorgte für mehr Tiefgang, so dass die unteren Kanonen bereits bei geringer Krängung unter die Wasserlinie gerieten. Nach Fertigstellung wurde das 69 Meter lange, 12 Meter breite und am Großmast fast 52 Meter hohe Schiff mit 69 Kanonen bestückt und erhielt 1300 Quadratmeter Segelfläche. Benannt wurde die VASA nach der schwedischen Königsdynastie.

Kurz vor der Jungfernfahrt am 10. August 1628 ordnete der Flottenchef einen Stabilitätstest an, bei dem 30 Mann der Besatzung von einer Seite des Schiffs zur anderen rannten. Die Galeone schwankte dabei so sehr, dass man den Versuch abbrach.

Die VASA lichtete trotzdem ihre Segel, (hier das Model in voller Ausstattung)

fuhr nach wenigen Metern schon unter erheblicher Schräglage und kenterte nach gerade mal 1300 Metern Jungfernfahrt beim ersten Windstoß.

Und da lag sie dann Jahrhunderte und galt als verschollen. Ein Meeresbiologe fand das Schiff 1956 nach fünfjähriger Suche und leitete die aufwendige Bergung über die nächsten vier Jahre. Die VASA wurde glücklicherweise in dem schwefelhaltigen Brackwasser konserviert und fiel nicht dem üblen Teredo navalis, dem Schiffsbohrwurm zum Opfer, der sonst alle Holzgegenstände innerhalb von kürzester Zeit zerstört. Viele Jahre wurde das Holzschiff imprägniert, um das Austrocknen und Schrumpfen zu stoppen und unterstützt dies heute durch eine Klimaanlage im Museum. Und wir können jedem den Besuch dieser Anlage nur wärmstens empfehlen!

Samstag Abend strebten wir dann erneut in die Altstadt, zur Live-Musik in einer der Kneipen der Gamla Stan. Ein herrlich sommerlicher Abend, der uns die teuerste Eiskugel aller Zeiten bescherte. Satte drei Euro für eine Kugel, die letztendlich “ganz normal” schmeckte. Das bringt halt so eine Touristengegend mit sich.

Zuerst hielten wir uns im “Stampen” auf, einer der traditionellsten Blues- und Jazz-Kneipen Stockholms.

Und dann zogen wir nochmal weiter und genossen mit wenigen Gästen in einem Kneipenkeller diese Band. Echt klasse.

Ach ja, unsere Erlebnisse mit einem modernen Fortbewegungsmittel seien hier auch noch erwähnt. 🙂 Stockholm gehört ja zu den teuersten Städten hinsichtlich Innenstadt-Parkens für Autos und setzt deutliche Zeichen, um alle anderen Verkehrsmittel zu pushen. Hierzu gehören auch die E-Scooter, die von drei Anbietern zur Verfügung gestellt werden und auf denen man sehr viele, nicht nur junge Leute, durch die Straßen und auf den Radwegen fahren sieht. Man müsste allerdings eher von “Düsen” sprechen, da die Roller bis zu 22 km/h schnell sind.

Wen wundert es, dass Micha magisch von diesen Objekten angezogen wurde, sich über die Anbieter informierte und die VOI-App installierte. Über diese Handy-App werden naheliegende Scooter angezeigt, und durch Scannen des QR-Codes am Fahrzeug erkennt man den Ladezustand. So die Theorie. Micha fand einen in Hafennähe und kam ganz euphorisch wieder. Der Test über Asphalt, Sand und Schotter lief erfolgreich und verletzungsfrei.

Nach unseren Konzertbesuchen wollten wir nun für den Heimweg aus der Innenstadt zwei E-Scooter nutzen. Denkste. Die in der App angezeigten Roller waren entweder nicht aufzufinden oder komplett entladen. Darunter auch das Exemplar, dass im Hafenbecken schwamm…letztendlich haben wir einige Umwege zu unserer Straßenbahnstation in Kauf genommen und dabei manchen Sprint zu einem Scooter gegen einen anderen Interessenten gewonnen… 😀 , nur um ausschließlich 0% Ladezustand vorzufinden. Feldversuch beendet – mal schauen, wann diese Welle in unsere Heimat schwappt. Sehe Micha jetzt schon durch Winsen düsen… 🙄

27. Juni von Södertälje nach Stockholm – 13. Etmal
28 Seemeilen: 10 Segeln – 14 Motor