Segeln im Wattenmeer

Mit Ebbe und Flut kennen wir uns als Norddeutsche im Prinzip aus. Allerdings bewusst zu erleben meist nur dann, wenn die Flut deutlich höher aufläuft, als das mittlere Hochwasser, z.B. wenn unsere Luhe-Wiesen überschwemmt sind oder wenn das Elbwasser ordentlich in Hamburgs Innenstadt drückt. Da erinnere ich mich noch gut an einen herbstlichen Nachmittag, als ich im damaligen Büro in der Speicherstadt saß und sich die Flut mit hohem Tempo auf der Straße ‚Am Sandtorquai‘ von der Kehrwiederspitze kommend ihren Weg bahnte. Sehr beeindruckend, und ich war froh, vom 2. Stock aus zuzuschauen.

Ansonsten sind wir ja Schwimmstege gewohnt, wo man den Höhenunterschied nur durch einen steileren bzw. flacheren Brückenzugang wahrnimmt. Das wenige Elbe-Segeln, das wir kennen, zählt nur ein bisschen. Und auf der Ostsee spielte die Tide eine eher unwichtige Rolle. Und das war ja unser Segelrevier der letzten Jahre. Nun ist alles anders (dramatische Pause… 😉 ).

Erst einmal haben wir es auf der Nordsee mit einem Tidenhub von ca. drei Meter/3,50 m zu tun. Wenn also unsere Routenplanung entlang der ostfriesischen Inseln durch das Wattenmeer führt und wir einen Tiefgang von 1,80 m haben, kommen wir bei Ebbe bzw. Niedrigwasser nicht in jeden Hafen. Langeoog, Norderney und Borkum sind für uns prinzipiell gut zu erreichen, wobei wir aufgrund der starken Strömungen jeweils nur bei auflaufendem Wasser dort ankommen wollen. Und das vorzugsweise bei Tageslicht, da die dort oft genutzten Priggen (als mobiler Ersatz für offizielle Fahrwassertonnen) in der Zufahrt keine Beleuchtung aufweisen. Ach ja, der Wind sollte dann bitte auch nicht aus Westen kommen, da wir bei diesen längeren Etappen nicht auch noch kreuzen wollen. Dann schon lieber kein bzw. kaum Wind, und wir schmeißen den Motor an, damit es wieder mit der Tide bzw. der Strömung klappt.

Insofern führt der erste Blick nun immer zuerst auf den Tidenkalender, die mögliche Ankunftzeit im Zielhafen, und dann wird unter Berücksichtigung der unterstützenden oder gegenanlaufenden Strömung und unserer zu erwartenden Durchschnittsgeschwindigkeit rückwärts zum Abfahrthafen geplant.

Klingt kompliziert? Für erfahrene Wattenmeersegler ist das ihr tägliches Brot – und wir erarbeiten uns eine Routine und sind bisher ganz gut damit gefahren. (Und, habe ich mir nicht im letzten Blogartikel Herausforderungen und Unbekanntes gewünscht??? 😕 ) Wenn ich schon mal an das Gezeitenspiel im Ärmelkanal und entlang der französischen Küste denke, bin ich gespannt, wie uns ein Tidenhub von bis zu elf Meter gefällt 🙄 .

Von Cuxhaven aus nahmen wir gleich am Folgetag Langeoog ins Visier. Kaum bogen wir morgens (bei einsetzender Ebbe) auf die Nordsee ein, konnten wir schon Segel setzen und herrliche fünf Stunden segeln. Damit hatten wir aufgrund der Windvorhersage gar nicht gerechnet. Genauso wenig wie mit den fünf Windstärken, die uns die letzten 1,5 Stunden auf der Hafenzufahrt entgegenwehten und viel „Freude“ beim Anlegen machten. Wunderbar, dass zig helfende Hände einfach am Steg standen und zupackten. Inklusive der Hafenmeisterin Ulla, die mit ihrem fröhlich-lebhaften Wesen das Herz des Yachthafens ist.

Nach sieben Stunden am ersten Reisetag und elf Stunden von Cux nach Loog war klar, dass wir eine Pause einlegen sollten. Wir fielen früh in die Koje, und ich war Freitagmorgen immer noch platt. Ist halt eine Umstellung für die Muskeln und wohl doch etwas mehr abzubauende Anspannung, als ich vermutet hatte…

Der starke Nebel bremste Michas Langeoog-Aktivitäts-Elan etwas aus, so dass wir erst mittags mit der Inselbahn in den Ort fuhren.

Nebelschwaden zogen dort noch durch die Fußgängerzone und versperrten am Strand die Sicht auf die Nordsee. Schade, dann halt keinen Eiskaffee, sondern lieber einen wärmenden Cappuccino und zurück an Bord. CARLOTTA hatte mittlerweile Bekanntschaft mit dem Niedrigwasser gemacht und lag fast im Schlick.

Borkum war für uns der einzig sinnvolle nächste Stopp Richtung Westen, und unsere Detailplanung sah 52 Meilen – weitestgehend unter Motor – für diese Strecke vor mit ausschlaf-freudiger Ablegezeit um neun Uhr am Samstagmorgen bei Hochwasser. Die Wettervorhersage zeigte restliche Ausläufer der Gewitterfronten vom Festland, aber nichts Abschreckendes. Pünktlich mit Verstauen des letzten Fenders gleich nach der Hafenausfahrt donnerte es einmal, und ein Starkregen setzte ein. Na, klasse, das Biminidach konnte gleich wieder seine Regenschutzqualitäten zum Ausdruck bringen.

Und wir nutzten die schlechte Sicht, schalteten unseren Radarbildschirm ein und schauten von da an fast nicht mehr aus dem Fenster 😉 .

Ein regelmäßiger Abgleich mit den Tonnen und AIS-Signalen auf dem Navi verschaffte uns ein sicheres Gefühl. Schon bald konnten wir die gelb aufleuchtenden Radarechos gut deuten bzw. uns auf die unklaren Signale konzentrieren. Diese stellten sich zu 100% als Segelschiffe ohne AIS heraus!

Links kam die Küste von Juist ins Bild, genau vor uns zwei Fahrwassertonnen und der kleine Punkts rechts hinter uns, war ein Segelschiff.

Genauso, wie wir es in Sönke Roevers Radar-Seminar gelernt hatten: Objekte aus Kunststoff oder Holz reflektieren sehr wenig – und die wenigsten Yachten haben einen guten Radarreflektor. Wir haben uns eine gute Grundlage verschafft, um zukünftig bei schlechter Sicht wie Nebel, Regen oder in der Nacht sicher auf den Meeren unterwegs zu sein.

Übrigens haben wir das Radargerät 2018 mit dem Kauf der CARLOTTA erworben; allerdings auch mit dem Hinweis, dass es wohl defekt sei. Es stellte sich aber als kerngesund heraus, fristete aber bei uns bis letztes Jahr ein untätiges Dasein. Wir waren halt zu 99% bei guter Sicht unterwegs. Die guten Tipps auf Blauwasser.de machten uns Mut, und nun sind wir begeistert. (Nicht, dass ich mir jetzt schlechtes Wetter wünsche, aber eine Nachtfahrt hat deutlich weniger Schrecken für uns).

Nachmittags hörte der Regen auf, und wir liefen bei guter Sicht in den breiten Emszulauf ein. Man biegt halt relativ weit im Norden von der Nordsee Richtung Süden nach Borkum ein und braucht noch zwei bis drei Stunden bis man im “Bundesschutzhafen” einlaufen kann. Dieses besondere Exemplar kam uns entgegen:

Der große Offshore-Windpark ist ja nicht weit entfernt und wird wohl oft aus dem Borkumer Hafen heraus versorgt. Auf jeden Fall wirbelten regelmäßig Spezialschiffe sowie Pilots und die Seenotretter das Hafenwasser durcheinander. Das klingt vielleicht ganz interessant, aber schön ist was anderes. Alle negativen Bewertungen zu diesem Hafen sind berechtigt – echt schade. Ok, ein Sternchen für die funktionierenden Duschen mit ordentlich Heißwasser (dafür ohne Abstellfläche, Handtuchhaken, Seife… 🙁  ).

Wir bleiben jedenfalls nur eine Nacht und ziehen dann weiter. Bei Regen und 13 Grad reizt uns eine Inselerkundung nicht wirklich, dagegen ziehen uns die holländischen Inseln magisch an. 🙂

 

2. Etmal von Cuxhaven nach Langeoog / 59 Seemeilen, davon 38 segelnd 🙂

3. Etmal von Langeoog nach Borkum / 52 Seemeilen, diesmal 39 unter Motor