Marathon gen Heimat

Mittwoch Morgen um 5.45 Uhr wurde ich vorsichtig mit folgender Frage geweckt: “Darf ich schon ablegen??” Mit anderen Worten, ich durfte liegen bleiben, und Micha vollzog das Ablegen in Simrishamn mal wie ein Einhand-Skipper.

Micha war außerordentlich früh aus dem Bett gefallen, erkannte die Vorteile des windarmen Morgens und schon schwamm CARLOTTA auf ihrem Weg nach Westen.

Keine Frage, ich bin nicht wieder eingeschlafen, vollzog aber mit geschlossenen Augen und eingekuschelt in meine Bettdecke, jeden Handgriff und jede Aktion. Lee-Vorleine und Fender schon mal verstauen, Motor starten, Spring lösen und zügig die zweite Vorleine einholen, schnell ans Steuer und rückwärts aus der Box. Ein paar Meter fahren und im Vorhafen die restlichen Leinen und Fender in die Backskiste hängen, dann raus aufs Meer. Ja, ich hätte es genauso gemacht, und wir beide sind stolz darauf, dass wir uns jeweils auf den anderen verlassen können. Nach knapp neun Wochen kennen wir CARLOTTA und alle notwendigen Handgriffe wirklich sehr gut.

Während ich die Augen öffnete, hisste Micha die Segel, ließ den Motor verstummen, und wir glitten langsam die schwedische Küste entlang. Unter einer aufgehenden Sonne, bei milden Temperaturen und leicht plätscherndem Wasser im Cockpit zu frühstücken, erhält auf der Wohlfühlskala mal satte 10 Punkte. 🙂

Wir waren übrigens nicht die Einzigen, die so früh unterwegs waren. Die meisten waren schon am Vortag nicht draußen gewesen und zogen ähnlich früh los. So auch dieser Traditionssegler, den wir aus Fleckeby kennen.

Leider verließ uns das bißchen Wind, und das Eisensegel kam wieder zum Einsatz. Ok, das war so angesagt. Genauso auch der Südwind, der uns mittags mit Schwung voran bringen sollte. Wir vertrauten darauf und planten deshalb, auch an Gislövsläge/Trelleborg vorbei zu fahren, um in einem Rutsch nach Dänemark zu kommen. Dabei hatten wir die Windvorhersagen der kommenden Tage mahnend im Hinterkopf und immer die damit einhergehende hohe und äußerst unangenehme Ostseewelle vor Augen.

Diese Starkwindanzeige vom Seaman führte uns klar vor Augen, was wir an Wind und Welle am Donnerstag zu erwarten hätten – wenn wir bis dahin die schwedische Küste nicht verließen. 😡 (zur Farbenlehre: nach grün kommt orange, kommt rot, und je mehr kurze Striche, desto mehr Wind und mehr Böen – in diesem Fall zwischen Dänemark und Schweden mit Minimum fünf Beaufort und Böen bis Windstärke acht aus Westen blasend). Eine Übernachtung in Ystad oder Gislövsläge kam also überhaupt nicht in Frage.

Wir sind somit zuerst 46 Meilen, d.h. knapp acht Stunden unter Motor gefahren und konnten um 14 Uhr auf der Höhe von Trelleborg Segel setzen. Das war dann genau an der Stelle, an der zwei Verkehrstrennungsgebiete beginnen. Das sind die Autobahnen für die Berufsschifffahrt, die dort mit virtueller Mittelleitplanke klar abgegrenzt Richtung Süden oder nach Osten geleitet wird. Wir Segler müssen diese Gebiete im rechten Winkel passieren, um die Strecke zügig frei zu machen. Anhand AIS und mit stetigem Rundum-Blick hatten wir sechs Riesen im Visier, die natürlich alle doppelt oder 3x so schnell waren wie wir, so dass sie uns bzw. wir ihnen nicht in die Quere kamen. Zwei Autobahnen konnten wir also ohne Sorge in unserem Tempo überqueren – übrigens mit ordentlich Brise und teils hart am Wind und dem einen oder anderen Regentropfen im Gesicht.

Und wo Kräfte wirken, gibt auch irgendwann mal was nach…

Der linke, vordere Relingdraht hing plötzlich lose an Deck, war also aus seiner Halterung gerissen. Das Drahtende ist mit einem kleinen Bolzen am Bugkorb befestigt und mittels Federring gesichert. Letzter war in den weiten der Ostsee abgetaucht, aber der Bolzen hing – oh Wunder – noch am Drahtende und ließ sich gut wieder befestigen.

Um 19.30 Uhr näherten wir uns Rödvig

und hatten tatsächlich noch Pläne für den Abend… 🙂 Nach unseren Berechnungen fehlten für eine Rückkehr nach Boltenhagen noch rund 50 Liter Diesel (falls wir wirklich gar nicht mehr Segeln könnten…!!!), so dass wir die Tankstelle in diesem Hafen nutzen wollten. Wir waren echt im Swing, und das nach über 13 Stunden… keine Ahnung, woher wir die Power nahmen, aber es lief halt.

Und dann der Moment, als wir in den super vollen Hafen einliefen, in dem fast alle Crews in ihren Cockpits saßen und jeden Spätankommer kritisch beäugten. Hafenkino! Popcorn! 😉

Wir beiden kannten die Lage der Tankstelle, fuhren also zielstrebig auf diesen Kai zu und lagen innerhalb von Minuten schräg vor der Zapfsäule. Leider reichte die Leitung nicht bis zu unserem Tankstutzen. Daher brauchte es einen zweiten Anlauf, bei dem wir das Schiff rückwärts in die Gasse fuhren und unser Heck in eine Ecke drücken konnten. Auf diese Weise lag unsere Tanköffnung dicht genug an der Säule.

Vielleicht kamen ja nur deshalb keine Leute zum helfen, da wir so extrem professionell wirkten…. 🙂 Es klappte aber auch einfach alles, und nach 10 Minuten legten wir um 50 Liter schwerer wieder ab. Einen Liegeplatz fanden wir dann noch im westlichen Hafenbecken der Fischer und fielen um 21 Uhr todmüde ins Bett.

Auch Donnerstag Morgen waren wir kurz nach Sonnenaufgang schon wieder unterwegs, um möglichst früh den Hafen Gedser an der Südspitze Dänemarks zu erreichen.

Es gibt von Rödvig drei Routen in den Süden, wobei die kürzeste auf der freien Ostsee wegen des Starkwinds aus Südwest und der Gegenan-Welle keine Option war. Die anderen beiden führen mehrheitlich durch die hübsche dänische Inselwelt und somit deutlich geschützter, aber eben auch deutlich länger. Wir entschieden uns für den Mittelweg: durch die eng betonnte, flache Faksebucht,

unter der Kalvebrücke hindurch (die augenscheinlich ein neues Mittelteil erhalten hat)

und zur Farobrücke – immer angesichts dieser Front, die sich nördlich von uns voranarbeitete.

Die Wolken-Regenmassen hatten ein Wahnsinnstempo drauf, so das wir verschont blieben.

Wenige Minuten später zwischen Bogo und Falster sah alles schon wieder deutlich freundlicher aus.

Diese Strecke kannten wir noch nicht und konnten endlich mal wieder Neues auf der Rückreise entdecken. Die südöstliche, dänische Inselwelt mit ihren sanften Hügeln, grünen Wiesen und kleinen Häuschen ist auch wirklich genussvoll anzusehen. Vor allen Dingen, da wir nun wieder ein paar Meilen segeln konnten. Geschützt durch die Insel Falster erreichte uns der Wind nämlich nur abgeschwächt.

Am Sundende schmiegten wir uns dicht an die Küste, verzeichneten somit noch eine moderate Wellenhöhe und kamen unter Motor gut voran. Bei Südwestkurs und Wind aus der gleichen Richtung mit fünf Beaufort stellt sich die Frage des Segelns einfach nicht. Also, Zeit für einen Mittagsschlaf. 🙂

Äußerst unangenehm war es dann auf den letzten Meilen, die uns um die Südspitze herum und wieder nordwärts zur Hafeneinfahrt führten. Bei jedem Schritt unter Deck mussten wir uns festkrallen, ein stabiler Stand war nicht mehr möglich, und sogar sitzend im Cockpit ging es nicht ohne festen Griff. Das hat uns nochmals klar vor Augen geführt, wie entspannt wir in der wellenarmen Schärenwelt unterwegs gewesen sind.

Und dies sind die zwei langen Törns von Schweden nach Dänemark mit insgesamt 140 Meilen in knapp 24 Stunden reiner Fahrtzeit:

Wir suchten uns im Hafen von Gedser eine große Yacht aus, die uns bei dem starken, seitlichen Anlegewind vorm Vertreiben bewahren würde und bogen bei einer 44 Fuß Bavaria in die vorgelagerte, freie Box ein. Ruckzuck lagen wir fest vertäut zwischen den Dalben am Steg und verschnauften bei Sonnenschein und Kaffee im Cockpit.

Allerdings nicht für lange, denn nun kam am frühen Abend eine Segelyacht nach der anderen in den Hafen und suchte einen freien Liegeplatz. Irritiert beobachteten wir, mit welcher Geschwindigkeit die Skipper in die Gassen steuerten. Eindeutig zu schnell, um in Ruhe ein Anlegemanöver zu planen, mit der Crew zu besprechen und dann bei Seitenwind mit fünf Windstärken schadlos in eine Box zu fahren. Wir vermuten, dass die Skipper durch das anstrengende und sicher schnelle Segeln vor Gedser so unter Strom standen, dass sie noch keinen Gang zurück schalten konnten. 🙄 Außerdem steuerte jede, wirklich jede Yacht die mittlere von drei freien Boxen an, so dass das Vertreiben vorprogrammiert war.

Gemeinsam mit einigen Bootsnachbarn halfen wir bei jedem Anlegeversuch an unserem Steg. Und es ist schon irre, was für Kräfte da auf ein Schiff einwirken, wenn der Wind mit aller Macht schiebt. Bei einem Segelschiff wurde der Bug mit vorstehendem Anker so gegen den Steg gedrückt, dass der Anker verbog! 😡

Und dann kam eine Segelyacht herein motort, die keinen Mast mehr hatte. 😯 Dieser war dem Ehepaar einige Meilen vor Gedser bei dem Starkwind, segelnd unter Vollzeug abgeknickt und hatte das komplette Rigg mitgerissen. Holy shit! Zum Glück war der Mannschaft nichts passiert. Der Skipper hatte einen Bolzenschneider an Bord, musste alle noch nicht abgerissenen Wanten und Stagen durchschneiden und konnte das Rigg mit allem Tuch nur dem Meer überlassen. Wahnsinn. Es sah schrecklich aus, wie nach einem Massaker.

Wie angekündigt, nahm der Wind weiter zu und stürmte die ganze Nacht lang über den Hafen hinweg. Wir hatten zig Vorsorgemaßnahmen ergriffen und Fallen bzw. Leinen extra gesichert, und trotzdem bin ich um drei Uhr nochmals nach draußen, um das nun schwingende und knallende Kutterstag straffer zu befestigen. Und, weil wir es noch nicht wieder erwähnt hatten, die Yogamatte am hinteren Schiffsrumpf leistete auch wieder wunderbare Dienste. 🙂 Langes Ausschlafen war gesichert!

7.8. von Simrishamn nach Rödvig – 43. Etmal
76 Meilen: 17 segelnd und 59 unter Motor

8.8. von Rödvig nach Gedser – 44. Etmal
64 Meilen: 8 segelnd und 56 unter Motor