Der Wecker hatte uns unerbittlich um sechs Uhr aus dem Bett geworfen, und wir passierten die beidseitig offene Schleuse ganz entspannt 20 Minuten später. Die ruhige Stimmung ließ uns wunderbar in den Tag starten; egal, wie früh es war. Au revoir, Paimpol.
Wir fuhren küstennah durch das Inselarchipel der Ile-de-Bréhat. Die Morgensonne brachte die Wasseroberfläche zum Glimmern und Glitzern und erzeugte vor und hinter den Felsen immer wieder neue Lichtreflexe. Das frühe Aufstehen hat sich schon deshalb gelohnt.
Gute sechs, der immerhin elf Stunden Tagesfahrt konnten wir segeln und erfreuten uns an der Selbstwendefock, die uns schicke Wendewinkel beim Kreuzen ermöglichte.
Es war mal wieder unheimlich interessant zu sehen, welche Kurse die vielen anderen Segler auf der gleichen Route bei den gleichen Windbedingungen schafften – und an welcher Stelle sich die Kreuz wieder treffen würde bzw. wer wo schneller war. Wir trimmten, was das Zeug hergab und waren stolz auf CARLOTTA.
Nachdem ich mal ein paar Minuten die Augen unter Deck zugemacht hatte und wieder ins Cockpit kam, sah ich unser Schiff recht allein auf weiter Flur. Micha kommentierte lakonisch: er hätte zwischenzeitlich den Speed Optimizer-Knopf gedrückt. Ich könne daher die anderen Schiffe nur im Rückspiegel sehen, und manch Skipper wäre zum Weinen an Land gefahren. Die wollten sich jetzt ein neues, schnelleres Schiff kaufen… OK, leichte Ansätze von verbaler Inkontinenz…aber, wer dabei so segelverliebt grinst, darf das (- natürlich hatten wir keine Dehler, Comfortina etc. im Wettbewerb… 😉 ).
Bei aller Geschwindigkeit blieb aber ausreichend Zeit, um sich die schöne Küste dieser Region anzusehen. Gerade vor unserem Zielhafen Roscoff hat die Natur mit rotschimmerndem Granit um sich geworfen (und, wenn es nicht schon wieder grieselig-grau geworden wäre, hätte wir wunderschöne Farbspiele zeigen können.). Gleich am nächsten Morgen ging es früh wieder los – wir brauchten das Hochwasser, um eine drei-Meilen-Abkürzung durch den Kanal Ile de Batz zu nehmen.
Das Ziel für diesen, fast windfreien Tag, hatten wir ausschließlich wegen des Namens ausgewählt (natürlich auch, weil es nur 30 Meilen waren und wir bei glatter See in 4,5 Stunden hin motoren konnten): L’Aber Wrac’h. Wer so heißt – was von uns Deutschen liebevoll „Laberwrack“ ausgesprochen wird – will besucht werden.
Der Ort und sein Hafen sind übrigens nach dem Fluß benannt, der dort mündet. Viel mehr, als ein paar Restaurants konnten wir dort nicht entdecken und dort draußen sitzen wollten wir eh nicht.
Zwei Highlights nehmen wir für uns mit. Das eine waren die zwei aktiven Hafenmeister, die mit ihren Dinghis die Neuankömmlinge schon auf dem Fluß abholten und zu einem geeigneten Platz im vollen Hafen dirigierten – und bei denen wir direkt mit Kreditkarte bezahlen konnten. Das andere war ein Segelschiff, dessen Ankunft schon von Weitem zu hören war: an Deck spielte ein Musiker die schottische Nationalhymne auf seinem Dudelsack. Unter Applaus lief die Yacht in den Hafen ein.
Ja, wir hatten viel zu gucken von unserem Besuchersteg aus und gönnten uns die nächsten Stunden eine Runde „Hafenkino“. Da die Franzosen mittlerweile Urlaub haben, gibt es viele Chartercrews, denen oft eine koordinierende und/oder erfahrene Hand an Bord fehlte…
Dann hieß es wieder, der frühe Vogel fängt … Ihr wisst schon… diesmal nicht nur wegen einer erforderlichen Wassertiefe, sondern wegen einer Meeresenge, die man ungern bei Gegenströmung passieren möchte. An der Westspitze Frankreichs, kurz bevor man von Norden kommend Brest erreicht, liegt westlich die Insel Ouessant und dazwischen jene Enge, die an diesem Morgen scheinbar jedes Schiff aus L’Aber Wrac’h bis mittags erreicht haben wollte. Wir waren fast eine Armada, die da morgens ablegte. Und nur, wer Lust auf einen großen Umweg hatte, setzte Segel und kreuzte bei leichtem Gegenwind in Richtung Brest. Wir nicht, der Motor tat brav seinen Dienst, und wir kamen entspannt durch die Meeresenge.
Auf einmal nahm Micha eine Rückenflosse war – und schon sprang ein Delfin in einiger Entfernung aus dem Wasser – und war auch schon wieder weg. Hm, das ging eindeutig zu schnell und war viel zu weit entfernt 🙁 . Eine Stunde später sahen wir erneut zwei Flossen für kurze Zeit. Leider wieder nicht dicht genug. Es war uns noch nicht vergönnt. Vielleicht wurden wir vor emotionaler Überforderung geschützt… 😉 Es soll ja schon so Manche/r vor Begeisterung fast von Bord gefallen sein, beim Anblick eines Delfinschwarms.
Aber, nun waren wir da, in der Biskaya, an diesem 10. Juli. Wir hatten unser großes Zwischenziel erreicht, diese riesige Bucht und den sogenannten Absprunghafen Camaret-sur-Mer, südöstlich von Brest. Hier stoppen bzw. starten alle, die Nonstop in drei Tagen und Nächten nach Spanien segeln wollen. Das hatten wir allerdings nicht vor, sondern hofften auf ein paar ruhige Tage in dieser von allen so positiv beschriebenen Stadt. Und wir hofften sehr darauf, nun wirklich die Wetterscheide und somit wärmeres Wetter erreicht zu haben. Sommer, halt. War denn das Mitte Juli zu viel verlangt für einen Aufenthalt in Frankreich???
Die Farbe des Meeres war an diesem Mittag ja schon mal sehr vielversprechend.
Im Nachhinein war es schlau, gleich ein paar Fotos geschossen und den Ort erkundet zu haben…Aber, der Reihe nach: die „neuere“ Hafenanlage von Camaret-sur-Mer, die jeder mit Tiefgang größer als 1,50 m nutzen muss, liegt an einer verlängerten Mole vor einer kleinen Halbinsel. Die im Revierführer beschriebene Tankstelle sollte sich dort befinden. Wir legten dort bei blödem, ablandigem Wind an einem recht maroden Steg mit hervorstehenden Eisenteilen an, nur um dann auf einem kleinen Zettel direkt an der Tanksäule „out-of-order“ zu lesen. Ein Ortskundiger schickte uns zur neuen Anlage – ok, aber warum kann es nicht schon von weitem ein deutlich sichtbares Schild geben?? Mitarbeiter in Dinghis sahen wir überraschenderweise nicht; jedes Schiff kurvte durch alle Gassen, um einen freien Platz zu finden. Eine kleine Zweigstelle der Capitanerie war komischerweise am Samstag, unserem Ankunftstag, nicht besetzt, so dass wir die 700 Meter in den Ort zum Hafenbüro taperten, um dort die stolzen 40 Euro Liegegeld zu bezahlen. Bei diesen Ankunftsfreuden und hohem Tarif buchten wir erstmal nur für zwei Nächte.
Wir zogen weiter in den Ort hinein und fanden in der zweiten Reihe hinter der Uferpromenade schöne, kleine Altstadtgassen mit vielen Künstlerateliers.
In der ersten Reihe gab es diverse Touristenrestaurants, und in einem davon machten wir leider schlechte Erfahrungen mit „Fast Food“. Schade. Der kalte Wind nahm zu, und wir verkrümelten uns an Bord. Erfreulicherweise verspätete sich am Sonntagvormittag der Regen, so dass wir im örtlichen Supermarkt shoppen konnten. Und wir lernten am Steg den Schweizer Hans kennen, der seine „Selkie“ nach Portugal segeln wollte. Bei Kaffee und Keks staunten wir mal wieder, was für Lebensentwürfe und -geschichten es gibt. Hans hat nicht nur seglerisch viel erlebt und strahlte (trotzdem) eine Freude und Zuversicht aus, die wirklich zu bewundern ist. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen in Portugal!
Abends spuckte der Himmel alles aus, was er den ganzen Tag gesammelt hatte. Es goß in Strömen. Der Hafen wurde voller und voller, die ankommenden Schiffe fuhren suchend umher und Diverse bereiteten das Anlegen an einer anderen Yacht vor. Wir hatten Glück – muß man echt mal so sagen dürfen – und bekamen niemanden längsseits. Wir helfen ja echt gerne, aber es goss so dermaßen…
Montagmorgen starteten wir erneut früh, wie zu Arbeitszeiten, und legten bereits um sieben Uhr ab. Den Hafen Camaret-sur-Mer werden wir nicht vermissen; das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt hier unserer Meinung nach nicht.
Wir hatten an diesem Montag eine lange Strecke vor uns, wieder mit einer Meeresenge dazwischen, diesmal der berüchtigten „Raz de Sein“, zwischen der Insel Ile de Sein und dem Festland. Diesmal mussten wir bis elf Uhr dort sein, um noch zwei-drei Knoten Strömung zu unseren Gunsten zu erwischen. Wir hatten also keine Zeit zu verlieren und motorten aus der Hafenausfahrt.
Zwei Minuten später machten wir den Motor wieder aus – er pumpte kein Kühlwasser! Micha hatte gleich die Wasserpumpe in Verdacht und wußte, dass er alles Notwendige zur Reparatur an Bord hatte. Mein „Fluchtverhalten“ hätte uns ja schnell zurück in den Hafen gebracht, aber das wäre bei unserem Wettlauf mit der Strömungsenge kontraproduktiv gewesen. Blöd nur, dass ich genau an diesem Morgen mit einem steifen Nacken aufgewacht war und mich kaum bewegen konnte. Nun gut, nützt nix, wir haben ja ein Segelschiff und können auch direkt vom Hafen aus lossegeln. Was in diesem Fall bei ordentlich Wind ein paar Mal Kreuzen bedeutete, um aus der Bucht herauszugelangen. Gesagt, getan. Micha verschwand unter Deck, baute die Wasserpumpe aus und wechselte den Impeller. Nach knapp 45 Minuten tauchte er wieder auf; ein Testlauf und das Problem war gelöst.
Pünktlich erreichten wir Raz de Sein. Abrupt wurde es komisch. Das Meer schien zu brodeln, es wirbelte umher, Strudel wechselten sich mit Kreisen aus glatter Oberfläche ab, und die Geschwindigkeitsanzeige an Bord zeigte 10,4 Knoten – anstelle der 6,9 zuvor. Yep, hier ging was ab.
Und war auch schon vorbei. Ein paar Minuten dauerte der Zauber, dann öffnete sich das Meer – und wir standen fast still. Keine Strömung, kaum Wind. Wie verhext. Zum Glück beobachteten wir das gleiche Taumel- und Drömelverhalten auch bei den anderen Yachten.
Aber nun hatten wir ja Zeit. Wir holten alle Zutaten zum Gennakersegeln an Deck – und es brauchte ganze drei Anläufe, bis der richtig montiert war und funktionierte. Es ist jedes Jahr das Gleiche, wenn wir dieses Leicht- bzw. Vorwindsegel zum ersten Mal in der Saison in Betrieb nehmen. Irgendeine Leine läuft nicht dort, wo sie hingehört. Und dabei wurde uns sehr bewusst, wie schräg es war, dass wir erstmals nach sechs Wochen auf unserem Törn so wenig Rückenwind und dabei schönes Wetter hatten, dass wir mit Gennaker segeln wollten.
Hielt dann auch nicht lange an, der Wind sprang von acht Knoten in kurzer Zeit auf bis zu 20-22, also Windstärke fünf, bei der wir dieses 94 Quadratmeter-Segel einrollen. Die Wellenhöhe nahm parallel zu, und CARLOTTA fing an zu „geigen“. Ruckzuck rollten wir den Gennaker ein (jaja, nun klappte das Handling problemlos) und wechselten auf die kleinere Genua. Reichte immer noch für knapp sechs Knoten Fahrt. Perfekt.
Und dann waren sie da! Zwei Delfine, die dicht an unserem Steuerbord-Rumpf entlang düsten, gefolgt von einem dritten und einem ausgesprochen sympathischen vierten Tier, das in die Luft sprang, sich drehte und uns seinen hellen Bauch zeigte. Das war doch mal was. Dauerte 20 Sekunden, war mit der Kamera nicht festzuhalten, aber so zu genießen. Wunderbar – und es ist auch niemand vor lauter Emotionen über Bord gefallen… 😉 .
Mittlerweile war es Abend geworden, und wir hielten auf die Bucht von Concarneau zu. Dort versprach der Revierführer gute Ankermöglichkeiten, die uns mehr zusagten, als spät in den dortigen Hafen einzulaufen. 63 Meilen und fast 13 Stunden später fiel das Eisen. Gute Nacht.
17. Etmal am 8. Juli von Paimpol nach Roscoff – 54 Meilen, davon 34 segelnd
18. Etmal am 9. Juli weiter nach L’Aber Wrac’h – 31 Meilen unter Motor
19. Etmal am 10. Juli bis Camaret-sur-Mer – 33 Meilen motorend
20. Etmal am 12. Juli bis zur Ankerbucht vor Concarneau – 63 Meilen und davon 62 (!!) unter Segel
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