Ein Monat

Eigentlich dachte ich, bereits nach drei Wochen ein erstes Fazit zu schreiben. Drei Wochen war ja früher der Zeitraum, des längstmöglichen Urlaubs bzw. der größtmöglichen Entspannung, bevor es wieder in die reine Arbeitswelt ging. Die letzten zwei Jahre waren die Aus-Zeiten ja schon länger, aber halt keine reinen Urlaube, sondern mit dem Büro an Bord.

Gut, nun sind also fast fünf Wochen vergangen, seit wir Hamburg am dritten Juni verlassen haben. Reine Reisezeit, nie mehr „Arbeiten“ (wenn man mal die Arbeit des Bloggens und Video-Schneidens außer acht lässt… 😉 ). Einfach einen Mittagsschlaf halten, wann ich will. Keine Gedanken machen, ob da nicht noch ein Projekt, ein Anruf, ein Kunde usw. auf mich warten. Nein, ich kann mich einfach entspannt zurückziehen. Ich traue mich fast nicht, das hier zu schreiben, aber es ist so herrlich, den eigenen Bedürfnissen nachzugeben und ganz frei zu entscheiden, etwas zu tun oder es zu lassen.

Gefühlt, erleben wir seitdem ein Abenteuer nach dem anderen. Unabhängig davon, ob wir uns an Bord oder an Land aufhalten. Ob unser Zuhause mit uns in Bewegung ist oder ob wir zu Fuß oder per Rad die Umgebung erkunden. Es handelt sich eben nicht um Urlaub, sondern ist unser Alltag, unser Leben. Ein Leben mit vielen Abenteuern.

Natürlich gibt es auch hier Routinen, es gibt Struktur, Ordnung und Planung. Anders ginge es auf diesem engen Raum zu zweit auch nicht. Rücksichtnahme, Gelassenheit, Humor und klare Absprachen sind schon immer sehr wichtig für uns, aber auf 17 Quadratmeter Wohnfläche nimmt deren Bedeutung deutlich zu. Natürlich hilft es auch, wenn man sich lieb hat… 😉 Wir haben uns zwar höchstmögliche Praktikabilität und Wohnlichkeit auf Carlotta geschaffen, sind aber aus unserem Haus in Winsen ganz andere Dimensionen gewohnt. Wo wir aber auch bei einem deutlichen Vorteil sind: alles befindet sich in Griffnähe, mit zwei, drei Schritten kommen wir an alles, was wir brauchen. Und das sind deutlich weniger materielle Dinge als bisher. Und das fühlt sich gut an.

Unsere engeren Räumlichkeiten aus Holz schaffen viel Gemütlichkeit. Die Atmosphäre nehmen wir als beruhigend wahr. Wenn z.B. Regentropfen auf das Deck fallen, fühle ich mich an mein Kinderzimmer unter der Dachschräge erinnert. Es prasselte auf das Veluxfenster, und ich fühlte mich geborgen. So auch hier. Es fehlt uns an nichts.

Unsere liebe Freundin Doris sagte mal sehr treffend: The map is not the territory – mit anderen Worten: du kannst noch so viel planen, in der Realität kommt es anders. Anders als gedacht, befürchtet oder erwünscht.

Unser Leben besteht seit Anfang Juni aus einer Aneinanderreihung von Überraschungen: Da gibt es die Negativen, z.B. eine Nachtfahrt mit viel zu viel Wind und Welle oder das Auflaufen auf eine Sandbank bei Ebbe. Leider auch das Wetter; wir hatten wirklich gedacht, warmes Sommerwetter in Frankreich vorzufinden…alle zwei, drei Tage mal fünf Stunden Sonne und selbst dann kaum über 20 Grad Anfang Juli ist schon ein harter Brocken (und, falls Blog- und Statusleser einen anderen Eindruck hatten: selbstverständlich machen wir kaum Fotos, wenn alles grau aussieht!). Andererseits, würden wir zuhause bei solchem Wetter rausgehen oder sogar einen zehnstündigen Outdoor-Termin planen???? Wahrscheinlich nicht. Lieber einen zweiten Kaffee, auf’s Sofa und erstmal das Abendblatt lesen….Hier aber, sind wir fast ständig in der Natur und „an der frischen Luft“. Das fühlt sich lebendiger an.

Positive Überraschungen befinden sich natürlich deutlich in der Mehrheit: als wir uns auf eine fünfstündige Motorfahrt eingestellt hatten und uns nach der Hafenausfahrt herrlicher Wind und keine Welle ein traumhaftes, stundenlanges Segeln ermöglichten. Kontakte am Steg, die man nie erwartet hätte; wie eine französische Herrencrew, die uns und Carlotta einen Tag vorher fotografiert hatten und uns gerne die Bilder übermitteln wollten. Wie viele französische Vokabeln einem wieder einfallen. Eine Mail von unbekannten Menschen, die uns herzlich und sehr informativ Tipps für unsere Törns in Frankreich geben. Technische Probleme, für die sich immer wieder Lösungen finden – ohne externe, teure Hilfe. Die Vielfalt der Landschaften.

Die Komplexität des Navigierens und Manövrierens in Tidenregionen deckt beide Seiten ab. Uns war klar, dass wir in der Nordsee eine schnelle Lernkurve an den Tag legen mussten. Wir wissen, woher wir die notwendigen Informationen bekommen und planen mit Bedacht. Häufig, lang und immer wieder neu. Aber, die Vielzahl an zu berücksichtigenden Komponenten ist beachtlich: Gezeiten, Strömungen, Windvorhersagen, Zufahrtbeschränkungen in und aus Häfen, Öffnungszeiten von Schleusen rund um Hochwasser, wollen bzw. können wir einen langen Schlag fahren oder verpassen wir einen besonders schönen Ort? Am wenigsten schauen wir auf die Wettervorhersage im Sinne von Regen oder Sonne… es ist ja eh meist grau in grau, und wenn sich die Wolken mal lichten, freuen wir uns halt. Kürzlich habe ich gelesen: „…wer im Ärmelkanal segeln kann, der kann es überall…“ Und, das ist der positive Aspekt dieser Komplexität – wir lernen und werden täglich sicherer!

Fehlt uns eigentlich etwas in unserem aktuellen Leben?

Bei „wünsch dir was“, hätten wir wochenlang an der britischen Küste Englisch sprechen können und sicherlich viel mehr Kontakte zu anderen Seglern und Ortsansässigen gehabt. Hier in Frankreich ist das schwieriger, und wir erleben die Franzosen auch als reservierter. Somit ergeben sich weniger neue Kontakte bzw. lockere Schnacks. Aber, das ist natürlich nicht wirklich kritisch.

Das ist eher die fehlende reale Nähe zu unseren Liebsten. FaceTime, WhatsApp und Telefonate können nicht alles auffangen. Faktisch lässt sich alles besprechen und klären. Emotional bräuchte es echte, spürbare Umarmungen!

Daher wäre es echt prima, wenn die eine oder andere Besuchsplanung in Portugal Realität würde…!!! 🙂 🙂

Wenn ich, wenn wir jetzt mal ganz tief in uns hineinhorchen und diese ersten fünf Wochen und unsere Aussichten auf uns wirken lassen, ist es glasklar:
Ich bin sehr glücklich. Micha auch.
Wir sind auf dem Wasser zuhause.