Zum Glück haben wir eine Flex an Bord!

Nach vier Tagen schöner, idyllischer Sommerzeit verließen wir bei auflaufendem Wasser die Insel Vlieland. Kaum waren wir um den Inselknick herumgefahren, war es vorbei mit der friedlichen Stimmung. Irgendwer hatte den Schalter umgelegt.

Zuerst motorten wir mit Kraft gegen die Strömung. Wie geplant, konnten wir nach fünf Meilen die Segel setzen und hart am Wind in Richtung Südwesten segeln. CARLOTTA lief zu ihrer Höchstform auf; zumal uns die Strömung bald viele Stunden zusätzlich anschob. Sagenhafte 55 Meilen segelten wir an diesem Tag am Stück und kamen spät nachmittags  in Ijmuiden, dem Seehafen Amsterdams an. Wir hatten morgens eigentlich den Hafen von Den Helder auf halber Strecke angepeilt, aber, hey, wenn es so gut läuft, wozu dann stoppen??

Ijmuiden war uns empfohlen worden, und so waren wir etwas überrascht, erstens recht wenige Schiffe in dieser riesigen Marina und zweitens eher alte Steganlagen vorzufinden. Wir hatten unverändert fünf Windstärken beim Einlaufen und waren froh, dass ein holländischer Skipper lokale Anlegetipps gab und zupackte. Man macht dort größtenteils an einem (zu) kurzen Schwimmsteg fest und nutzt achtern zwei Pfähle. Man wirft die Heckleinen aber nicht wie uns vertraut über die Dalben, sondern zieht sie zwischen Pfahl und dort befestigter Stahlstange durch. Total logisch: somit bewegen sich die Leinen mit der Tide und sind nie zu kurz oder zu lang (und ich hatte schon so schöne Palsteks vorbereitet… 😉 ). Der Holländer hatte die Ruhe weg und hielt unsere Vorleinen so lange, bis es hinten schick aussah. Nogmaals bedankt.

Während uns die Holzstege einen eher alten Eindruck vermittelten – auch die umliegenden Hotels und das Hafengebäude versprühten einen 80iger Jahre-Charme – schrien uns die Hinweisschilder für den digitalen Fortschritt in Ijmuiden nur so entgegen. Wir schnappten uns das freie WLAN, und das Anmelden und Bezahlen mittels der BlueWater-App klappte reibungslos. Als wir am nächsten Vormittag die Waschmaschine mittels App belegen und bezahlen konnten, erinnerten wir uns nur noch mit Kopfschütteln an den nicht-funktionierenden Lan1-Hotspot in der sogenannten 5Sterne-Marina Boltenhagen (an Borkums Einrichtungen will ich da gar nie mehr denken… 😉 )

Ansonsten war uns schnell klar, wie der weitere Tag aussehen würde. Kein Ausflug nach Amsterdam (auch, wenn ein direkter Bus uns in ca. einer Stunde dorthin gebracht hätte), einfach den langen Segel-Vortag ausgleichen,

den breiten Strand entlang gehen, die Füße den herrlichen Sand und das kühle Meerwasser spüren lassen, Micha mit einem ersten, echten Matjesbrötchen glücklich machen… – ach, es braucht so wenig… 🙄

Mit Blick auf die Wetter- bzw. Windlage der nächsten Tage hatten wir eigentlich noch einen Tag in Ijmuiden sommerlich chillen wollen. Aber, warum nicht schon mal einen kleinen Trip, die Küste ein Stück weiter bis Scheveningen, dem Seehafen von Den Haag, fahren? Umso kürzer würde unser nächster größerer Schlag, vorbei an Rotterdam, bis Südholland werden. Wir konnten ja nicht ahnen, dass wir nach wenigen Metern froh waren, so viel Zeit und eher wenig Wind zu haben.

Raus aus Ijmuidens Ausfahrt, links rum und schnell mal das Großsegel hochziehen – bis die E-Winsch knarrte und nichts mehr ging. Das Segel stand zu einem Drittel und ließ sich nicht mehr hoch, noch runter bewegen. Was war passiert? Von uns unbemerkt hatte sich das Segel vorgestern beim Einrollen in den Baum am Vorliek gefaltet, so dass sich nun beim Hochziehen der Keder und ein Stück Segel die enge Führungsschiene am Mast teilen wollten. Konnte nicht funktionieren. Blöd nur, dass sich alles so festgezogen hatte, dass Micha 30 Minuten später und nach verschiedensten Versuchen mit Hammer, Schraubstock und unterschiedlichsten „Hebelwerkzeugen“, das finale Schlachtschwert einsetzen musste. Unsere Flex! Die wir natürlich nur für Schreckensszenarien bei Wanten und Stagen bzw. einem umgeknickten Mast vorgesehen hatten…Aber, mit dieser Segelstellung hätten wir kaum unbeschädigt in einem Hafen anlegen können. Es gab keine Alternative, das Ding musste runter.

Kurze Zeit später war die Führungsschiene um ihre Vorderkante ärmer, und wir konnten das verklemmte Segel befreien. Ohne Blessuren an Keder und Segel ging es leider auch nicht, wenngleich die Risse nur auf einer Länge von zehn Zentimeter entstanden waren.

Keine Frage, das musste repariert werden.

Wir motorten die verbleibenden drei Stunden nach Scheveningen und legten am Besucherkai mit Nase in den Wind an. Sofort kam der Hafenmeister und wies uns auf die erwünschte 180 Grad andere Bugausrichtung hin – hatte aber sofort größtes Verständnis als er unsere Segelmisere hörte – und nannte uns sogleich den örtlichen Segelmacher. Ein Anruf, eine Mail, zwei Fotos und 30 Minuten später, betrat Ian, von Vrolijk Zeltmaker unser Schiff. Wow, war das ein Service. Wir hatten das Segel schon rausgerollt und zusammengelegt, erhielten eine kompetente Beratung zum neuen Keder (der natürlich auf der ganzen Segellänge erneuert werden muss 🙁  ) und die Zusage, dass das reparierte Segel am Folgetag abends wieder zurück sei. So großartig!!

Der Yachthafen liegt in der Stadt und ist von größenteils modernen Gebäuden und, auf einer Seite, von vielen Bars und Restaurants umgeben. Dort flanierten und dinierten die Schönen und Schickis an diesem heißen Sommerabend – und wir schauten uns das lieber mit Abstand an… auf jeden Fall füllte sich der Hafen mehr und mehr, so dass jedes Schiff einen Gastlieger an seiner Seite erhielt. Wir „bekamen“ Olaf und Petra aus Deutschland, die uns wie selbstverständlich später beim Aufziehen des reparierten Segels halfen. Seemannschaft ist schon was Tolles – 1000 Dank nochmals.

Am nächsten Morgen hielten unsere Erleichterung und Freude über die schnelle und gute Schadensregulierung unverändert an. Gut gelaunt setzten wir gleich nach der Hafenausfahrt (diesmal erfolgreich) die Segel und genossen viereinhalb Stunden Sommelsegeln bei halbem Wind. Sogar durch die sehr stark frequentierte Hafenzufahrt von Rotterdam und ihre turbulenten Strömungen hielten wir so Kurs. Oder auch mal den Atem an, wenn noch unklar war, welcher der Frachter knapp vor oder hinter uns durchbrausen würde…Die rosa Autobahnen bzw. Verkehrstrennungsgebiete vorm Rhein-Maas-Delta und auch die weiteren „Finger“ mit stetiger Berufsschifffahrt sind hier gut zu erkennen:

Je hochsommerlicher der Nachmittag wurde, desto mehr Windstille und erhöhtes Fliegen-Aufkommen waren zu verzeichnen. Bei Ankunft in Cadzand, dem südlichsten Sportboothafen Hollands, kurz vor der belgischen Grenze, tummelten sich mindestens 50 der kleinen Flatterbiester unter Deck. Grrrr, Einsatz Dr. Dyson, bitte!

Der Yachthafen Cadzand ist äußerst modern – die Website verspricht „schicke Badezimmer, in die man sich verlieben würde“ – und somit war klar, dass wir da hinmussten. Tatsächlich sind die Steganlagen und das Hafengebäude keine vier Jahre alt, wirken noch etwas steril, sind aber sehr sinnvoll angelegt. Und, wenig überraschend, kann der Hafenmeister die Stromanschlüssen via Handy-App individuell pro Schiff freigeben.

Mit wenigen Schritten ist man in den Dünen bzw. am Strand oder auch in der Hauptstraße des Ortes. Wobei Hauptstraße etwas übertrieben ist: Das Seebad Cadzand besteht aus einigen teils gerade im Bau befindlichen Hotels ( 🙁 ), dazu einen Supermarkt, drei Cafés und Restaurants und kleinen Shops. Alles, was das Herz begehrt, und wir fanden sogar Dinkelbrot beim Bäcker!! 😀

Und nun schauen wir mal den Teambuilding-Chartercrews zu, die gerade ihre Instruktionen erhalten und gleich rausfahren. Ein bißchen Hafenkino halt.

 

5. Etmal / 12. Juni von Vlieland nach Ijmuiden: von 61 Meilen, ganze 55 unter Segel
6. Etmal / 14. Juni von Ijmuiden nach Scheveningen: 26 Meilen unter Motor
7. Etmal / 16. Juni von Scheveningen nach Cadzand: 58 Meilen, davon 23 segelnd