Von Hamburg ins Mittelmeer – unser Fazit

“Wenn du dich auf den Weg machst, dann erreichst du Ziele, von denen du bisher noch nicht geträumt hast”.

Dieses Zitat eines unbekannten Autors passt unheimlich gut zu unseren Überlegungen während und nach diesem ersten Jahr unserer Langfahrt mit CARLOTTA.

Das Wichtigste und die gleichfalls grundlegende Voraussetzung für das Erreichen erträumter Ziele ist und bleibt das Handeln. Raus aus dem Traum und rein ins neue Leben. Ablegen und Losfahren, also auf den Weg machen, hieß das für uns Anfang Juni 2021.

Mit der Algarve hatten wir uns ein geographisches Ziel gesetzt, das wir bis zum Herbstende erreichen wollten. Dazu gab es natürlich Unmengen kleiner Träume und Teilziele für die Zwischenzeit bzw. für unterwegs. Das, was man bei all dieser Schönträumerei immer gleich mit im Gepäck hat, sind die dazu gehörenden Erwartungen. Und davon hatten wir reichlich, ohne, dass wir uns dessen so bewusst waren.

Ach ja, vorab noch: von einem ursprünglichen Ziel hatten wir uns ja bereits vor dem Start verabschiedet. Südengland stand auf unser Wunschliste ganz oben, fiel aber den Corona-Ein- und -ausreisebedingungen zum Opfer. Was sich im Nachhinein als glückliche Fügung herausstellte, da das nordeuropäische Sommer-Schmuddelwetter mit dem erforderlichen Gezeiten-Strömungssegeln eine für uns unerquickliche Kombination eingegangen war. Nachdem wir den Ärmelkanal hinter uns hatten und wir selbst im Juli in Frankreich ziemlich oft einen Fleecepulli überziehen mussten, weinten wir England keine Träne nach.

Tatsächlich hatten wir enorm mit unserer Erwartungshaltung zu kämpfen, denn, wir hatten Juli und August in Frankreich und Spanien gedanklich mit Hochsommer gleich gesetzt. Wer hat da nicht auch Bilder von braungebrannten, leicht bekleideten Menschen am Strand und im klaren Wasser sowie laue Sommernächte im Kopf?? Stattdessen schafften es “die Suche nach dem Sommer” sowie kreative Beschreibungen der verschiedenen Grautöne am Himmel unter die Top 3-Formulierungen in unseren Videos 🙄 .

Hätten wir uns dem Thema mathematisch genähert und die gemessene Wassertemperatur des Atlantiks mit seinen elf bis 15 Grad zugrunde gelegt und stetigen Wind an der Küste dazu addiert, hätten wir uns diese Desillusionierung erspart. Dann hätten wir uns über die wenigen Sommertage einfach nur gefreut. Hätte, hätte…

Und nun ist Schluss mit dem Gejammer! Es bleibt auch bei dieser einen, deutlich negativ geprägten Erinnerung für unseren Törn auf dem Nordatlantik. Bei anderen Widrigkeiten fallen uns nämlich immer sofort positive Ausgleichsbeispiele ein.

Gerade das bereits erwähnte Gezeitensegeln reizt Pro und Contra in beide Richtungen gnadenlos aus. Als bisherige Ostseesegler betraten wir ja absolutes Neuland, fanden aber großen Gefallen an der intensiveren und deutlich komplexeren Törnplanung.  Natürlich hat uns auch mal eine gegenläufige Ebbströmung gebremst, wenn wir aus Witterungsgründen unbedingt noch einen bestimmten Hafen erreichen wollten. Oder eine Wind-gegen-Strömung-Situation gewaltig in den Wellen hin uns her geworfen, uns aber gezeigt, was unser stabiles Schiff alles kann. Oder uns mit zehn statt den üblichen sechs Knoten Fahrt durchs Wasser beschenkt, als wir die Strömung mit uns hatten. Außerdem bescheren einem zehn Meter Tidenhub in den Marinas oder beim Ankern wirklich beeindruckende Perspektiven!

Grandville bei zehn Meter Tidenhub – geschützt hinter der Barre

In diesen recht anstrengenden Monaten formte sich wie von selbst der Name “Arbeitsjahr”, denn, als solches haben wir den Auftakt unserer Langfahrt wirklich empfunden. Und, wo gerade das Wort Arbeit auftaucht, schaue ich mit absoluter Klarheit auf das beendete Berater-Arbeitsleben zurück: ich vermisse es überhaupt nicht und bin wahnsinnig glücklich, diesen Lebensabschnitt hinter mir gelassen zu haben. Fahrtensegeln in Europa füllt mich komplett aus und befriedigt sämtliche Bedürfnisse an Neugierde, Lernen, Kontakte, internationale Kommunikation, Struktur, Pragmatismus und Machen. Und Zweisamkeit!

Das ständige “an unbekannten Orten sein” und sich fast täglich sehr flexibel auf Neues und Ungewohntes einzulassen, bedeuten Herausforderung und Glück zugleich. Derartige Abwechslung zu erleben, aber sein sicheres und gemütliches Zuhause stets dabei zu haben, ist ein großes Geschenk. Ja, dessen sind wir uns unverändert sehr bewusst und sind dankbar, unser Leben auf diese Weise gestalten zu können.

Öfter wurden wir unterwegs gefragt, warum wir diesen Ort oder jene Sehenswürdigkeit nicht besucht haben bzw. so schnell weitergefahren sind. Hierzu gibt es eine klassische, eine etwas ungewöhnliche und eine entscheidende Antwort. Also, Wind und Wetter (und Hafensituation) kann sicher jeder nachvollziehen. Die Sorge vor den Orca-Attacken und unsere Versuche, so einer Begegnung aus dem Weg zu gehen, verstehen sicher alle, die dieses Thema verfolgt haben. Wir blieben ja zum Glück verschont und haben ja auch konsequenterweise unser Winterziel Algarve in Almerimar / Mittelmeer gewandelt. Aber, ein wesentlicher Grund liegt an dem Übermaß an Angeboten, was sich manchmal wie ein Overload anfühlte.

Ganz treffend sind da die Worte des Autors Matt Haig: Wir müssen nicht sämtliche Traubensorten aus sämtlichen Weinbergen gekostet haben, um Wein genießen zu können. Insofern gibt es auch nicht ‘das eine Highlight’; vielmehr bestand unsere Reise aus einer Aneinanderreihung von optischen und emotionalen Höhepunkten.

Das lässt sich auch auf die zwischenmenschlichen Kontakte übertragen. Wir haben eine bunte Mischung an Menschen fast aller Altersgruppen aus vielen Ländern Europas kennen gelernt. Mehrheitlich (und Corona-bedingt) natürlich Segler, die, wie wir, von Nord nach Süd – und oft weiter über den Atlantik westwärts –  unterwegs waren. Mit vielen klönt man kurz, mit vielen auch intensiver über ihre Reiseziele und Lebensmodelle und reist eine zeitlang gemeinsam von Hafen zu Hafen. Und wir haben darüberhinaus das große Glück, richtig gute Freunde gewonnen zu haben, die wir seitdem in unserem Leben nicht mehr missen möchten!

Während wir bei allen vorangegangenen Segeltörns immer wieder in unseren Heimathafen und somit zurückfahren mussten, geht es nun nur noch weiter. Herrlich, wir werden nicht müde, Pläne zu schmieden und aus dem fetten Blumenstrauß der Möglichkeiten zu schöpfen – voller Neugierde, wo wir wirklich landen.

Somit steht auch der grobe Plan für 2022, der uns zu den Balearen-Inseln führen wird. Wahrscheinlich halten wir uns das ganze Jahr in spanischen Gewässern auf, kommen im Sommer für einige Wochen in die Heimat und überwintern in Südspanien. Denn, ein Learning haben wir verinnerlicht: kein zweites Mal wollen wir derart lange im dunklen, trüben Winter in Norddeutschland stationär gebunden sein. Stattdessen entwickeln wir bereits aktuell Ideen, wie wir die kältere Jahreszeit 22/23 viel mehr aktiv draußen bei längerer Helligkeit gestalten können.

Und so machen wir uns Ende Februar wieder auf den Weg und werden sicher Ziele erreichen, von denen wir heute noch nicht mal geträumt haben 🙂 🙂 .