Und wo sind die Orcas?

Schon seit Wochen hatten wir die Meldungen zu den diesjährigen Orca-Angriffen auf Segelschiffe intensiv verfolgt.  Im letzten Jahr hatte das Drama seinen Anfang genommen, und bis in den Herbst hinein waren rund 70 “Interactions” zu verzeichnen. Auch dieses Jahr begannen die ersten Kontakte im Frühjahr in der Straße von Gibraltar und der Bucht von Cadiz, sobald die Thunfische, die Lieblingsmahlzeit der Orcas, aus dem Mittelmeer zum Atlantik und nordwärts bis in die Biskaja schwimmen.

Als wertvolle Informationsquellen haben sich zwei Facebook-Gruppen sowie die offizielle Website der “Atlantic Orca Working Group” herausgestellt, und es ist erschreckend zu lesen, wie oft die beeindruckenden Tiere ihren Spieltrieb ausleben. Denn, darum geht es anscheinend bei dieser kleinen, spanisch-portugiesischen Population, so die bisherige Annahme offizieller Seite. Faktisch tauchen die Orcas meist aus dem Nichts auf und beschäftigen sich mit dem Ruder der Segelschiffe. Sie drücken, schieben und knabbern – bis das Ruder derart beschädigt, also abgebissen bzw. abgebrochen ist, dass die Boote kaum noch zu manövrieren sind. Egal, ob man segelt oder motort, ob tagsüber oder nachts, und egal, bei welchem Wetter. Aktuelle Berichte kamen aus dem Süden Portugals – von uns somit noch einige Tagestörns entfernt.

Keine schönen Aussichten für uns. Bei so einem Ruderschaden wäre die Reise wohl vorerst zu Ende… naja, so weit wollten wir noch nicht denken, verließen aber Porto mit ersten unruhigen Gedanken.

Das Farbenspiel lenkte uns aber gut ab und gibt einen ersten Hinweis auf die frühe Morgenstunde; immerhin hatten wir 64 lange Meilen vor uns, so dass wir Porto um sieben Uhr verließen. Übrigens hatte die FantaSea schon einen Tag vor uns abgelegt und wollte uns in Figueira da Foz mit einem Abendessen erwarten. Herrliche Aussichten!

Die ersten 1,5 Stunden gaben wir uns dem goldenen Morgenlicht hin

und bekamen super gute Laune.

Während wir nämlich unser Frühstück an Bord einnahmen, gesellte sich eine größere Gruppe flinker Schwimmer zu uns. Ach, die sind so nett anzusehen!! Der Anblick dieser springenden Delfine macht wirklich glücklich.

Um 8.30 Uhr war es dann soweit, der versprochene Wind war da und sorgte für zehn Stunden Segelaktivitäten. Ich schreibe bewußt nicht von Segelspaß, denn den hatten wir erst die letzten sechs Stunden als Segelstellung, Kurs, Wellen und Windstärke 5-6 richtig zueinander passten. Zuvor haben wir zig Segelstellungen ausprobiert, um den Umständen entsprechend gut voran zu kommen.

Pünktlich mit der Abenddämmerung und zum Dinner trafen wir in Figueira da Foz ein. Judith und Peter verwöhnten uns mit vielen Leckereien, und wir konnten einfach nur entspannen. Ganz großartig. Vom Hafen und der Stadt haben wir eigentlich nichts gesehen und waren uns alle einig, gleich am nächsten Morgen gemeinsam abzulegen. Zum einen herrscht in den engen Hafengassen starke Strömung. Zum anderen hatte sich nun eine kleine Flottille gefunden, die die nächsten Törns in Sichtnähe zueinander zurücklegen wollte. Irgendwie fühlte es sich gut an, eine bekannte Crew in der Nähe zu wissen, falls die Orcas auftauchen würden. Letztendlich waren wir sechs Schiffe, davon vier deutsche, die sich auf den Weg nach Nazaré machten.

Neben der Biskaja-Querung gab es noch genau einen Törn, vor dem ich gewaltigen Respekt hatte. Und der stand nun an. Ihr könnt ja mal “Nazare und Welle” googeln, dann wißt ihr, was ich meine. Ich zitiere Wikipedia, die genau erklären, warum es vor dieser Stadt zu derart hohen Wellen kommt: “Die ungewöhnliche Höhe der hier brechenden Welle hat mehrere Ursachen. Vor der Küste befindet sich der Nazaré Canyon, eine über 230 Kilometer lange Meeresschlucht mit einer Tiefe von bis zu 5000 Metern. Das Ende dieses Unterwasser-Canyons liegt unmittelbar vor der Küste von Nazaré, wodurch sich auf engem Raum große Unterschiede in der Wassertiefe ergeben. Des Weiteren wird bei entsprechenden Bedingungen eine Wasserströmung entlang des Strandes an dem Felsvorsprung in das Meer gelenkt, so dass sich eine weitere Vergrößerung der Welle ergibt. Eine entsprechende Dünung vorausgesetzt, können die Wellen dann mit mehr als 20 m Höhe brechen.”

Ich hatte also immer diese Bilder im Kopf und konnte mir schwer vorstellen, dass wir dort einfach so in den Hafen hinein segeln. Aber, so ist es dort. Tatsächlich funktioniert das ganz einwandfrei. Man hält sich einfach genau in der Mitte des Canyon-Korridors und landet fast schaukelfrei in der Marina. Die Natur macht’s möglich. Auch bei fünf Windstärken, die uns bei der Annäherung antrieben (gut erklärt, ist das mal wieder bei Blauwasser.de).

Im Hafen Nazare hofften wir auf einen Platz in der modernen, stadtnahen Nord-Marina, wurden aber bei der Ankunft sofort durch einen Marinero in den älteren Südteil geleitet. Im Laufe der Stunden trudelten alle Flottillen-Teilnehmer ein und bildeten Päckchen in dem übervollen Hafen.

Genau wie wir, hatten zig Segler geplant, länger in Nazare zu verweilen, bis die Orcas hoffentlich weiter Richtung Norden  geschwommen waren. Wir hatten ja die Zeit…und schon klare Gestaltungspläne für den längeren Aufenthalt.

Erstmal an den naheliegenden Strand

und dann stundenlang im Internet und am Telefon nach einem Mietwagen recherchiert. Das hatten aber schon viele vor uns probiert, und der lokale Markt war leer, bis auf einen Roller. Dort ließen wir uns per Taxi hinbringen – genial, statt einer Stunde zu Fuß entlang der Hauptstraße, ging es in 10 Minuten für fünf Euro den Berg hinauf. Leider hatte die Mitarbeiterin einen “schlechte-Laune-Keks” gefrühstückt, erhöhte scheinbar willkürlich die Preise und konnte uns auch keine wirklich passenden Helme anbieten. Nöö, wir zogen wir ab und taperten durch alten Gassen bis zum berühmten Leuchtturm.

Auch von dort ergeben sich traumhaften Ausblicke:

Praktischerweise überbrückt eine Seilbahn, der “Elevador de Nazaré”, die Höhenmeter, und fünf Minuten Fahrt und nur um drei Euro ärmer, waren wir wieder unten im Ort. Den Besuch in den Markthallen hoben wir uns für den nächsten Tag auf.

Am frühen Abend vertraten wir uns die Beine nochmals an dem einsamen Strandabschnitt. Da der Wind unverändert pustete, hatten die Kite-Surfer ordentlich Action in der Brandung.

Wir ließen es etwas gemütlicher angehen…

Was so gut anfing, blieb leider nicht so. Schwell und Starkwind-Klappern im Hafen waren ja klar bei diesem Wind, aber mit der spanischen (!!) Fischereiflotte hatten wir nicht gerechnet. Man kann die großen Trawler oben auf dem Hafen-Foto erkennen. Davon trudelten im Laufe des Tages bis zu sieben ein und ließen größtenteils ihre Generatoren die ganze Nacht laufen. Der Landstrom ist nämlich deutlich teurer und leider nicht verpflichtend. Die Geräuschkulisse morgens um zwei Uhr ist atemberaubend 😯 .

Nach einem netten Spieleabend mit Judith und Peter waren wir uns mal wieder einig: alle wollten weiter. Schei…auf die Orcas.

Die Ausfahrt durch den Korridor klappte erneut problemlos, und wir nutzen das gute Wetter und die Kulisse, um mit  DAISY ein paar schöne Aufnahmen zu erstellen. Die FantaSea ist aber auch extrem fotogen 🙂 :

Viel länger trauten wir uns nicht, immerhin drehte der Wind auf, und wir wollten die Drohne zügig wieder einfangen. Ein bißchen Herzklopfen später, war DAISY wieder an Bord, und wir segelten weiter in Richtung Peniche.

Genau vor diesem Küstenort liegt das Naturschutzreservat Berlengas. Die kleinen Inseln forderten uns geradezu auf, DAISY erneut starten zu lassen. Leider hatte sie keine Lust bzw. ließ sich nicht starten – echt Schade. Aber uns gelangen trotzdem ein paar Schnappschüsse.

Und auch CARLOTTA durfte als weißer Farbklecks vor dem Felsen herhalten:

Peniche ist eigentlich kein Ort, in dem man gewesen sein muss. Er liegt halt auf der Strecke nach Lissabon und verkürzt den sehr langen Schlag von Nazaré aus um 25 Meilen. Und, wenn man bis Peniche keinen Orca getroffen hat, fährt man erleichtert in diesen Hafen und arrangiert sich mit den Gegebenheiten. Die bedeuten dort stetig unruhiges Wasser aufgrund der großen, 24/7-aktiven Fischer- und Anglerflotte sowie nur EINEN Ponton an der AUßENMOLE, an dem alle Segler in in 2er- bzw. 3er-Päckchen liegen. Für uns eine Entscheidung wie zwischen Pest und Cholera… ok, klingt vielleicht etwas drastisch, war aber gefühlt so. Wir haben zuerst das Ankern probiert, verholten dann aber doch an die Längsseite eines portugiesischen Seglers am Steg. Das Gewitter mit seinen Starkwinden nahte:

Die Nacht war gruselig. Windstärke 7 kam im Hafen mit entsprechenden Wellen an und zerrte an allen Leinen. Es ruckte und knarzte, kaschumpfte ans Heck und ließ uns zwischen eins und drei hellwach im Salon ausharren – wie viele unserer Nachbarn. Das sind dann Momente, in denen wir uns unser festes Haus aus Stein herbei wünschten… 🙄

Peniche ist auch der Ort, an dem die Orca-Stories dichter kamen. Im Hafen lag ein deutsches Segelboot und wartete auf den Kran, um das beschädigte Schiff von unten zu besichtigen. Noch sollten die Viecher unverändert vor Sines ihr Unwesen treiben. Verdammt, wir mussten hier weg und wollten es unbedingt bis Lissabon schaffen!

Erneute Flottillenbildung am frühen Morgen; allerdings unter dieser Wolken- und Himmelspracht, die von der Sturmnacht herrührte.

Gemeinerweise war der Wind komplett verschwunden, und bescherte uns eine Motorfahrt über acht Stunden. Peniche lag dann gerade mal zwei Stunden hinter uns, als der Funkverkehr zunahm. Die Orcas waren aktiv. Genau dort, wo wir morgens gestartet waren. Puh, wir hatten also bisher mal wieder Glück gehabt. Allerdings schauten wir umso intensiver ins Meer und schreckten bei einer großen Delfinflosse schon mal zusammen.

Die Strecke führte vorbei am Cabo da Roca, der westlichsten Klippe am europäischen Festland

bis in die breite Bucht bei Cascais, der Mündung des “Tejo”, der an Lissabon vorbeiführt. Yep, wir hatten es geschafft, und liefen um 15 Uhr in Oeiras ein. Cascais bietet zwar den schöneren Ort, dafür aber auch die teurere Marina.

Selbst von hier hat man schon einen Blick auf die gut 18 Kilometer entfernte Hauptstadt und die gewaltige Brücke.

Oeiras überzeugte uns durch seine sehr gepflegten Hafenanlage mit netter Restaurant- und Shop-Meile, ein gut organisiertes Hafenbüro mit perfekt Englisch sprechendem Personal, dem für mich bisher bestem Waschmaschinen-Trockner-Duo sowie einem kostenlosen Brötchenservice jeden Morgen um 08.30 Uhr.

Und das Wetter spielte brav mit.

Bis zum Bahnhof geht man gut 20 Minuten zu Fuß, immer entlang der breiten und schönen Promenade am Meer. Ich glaube, man kann von Cascais aus sicher und frei vom Straßenverkehr bis nach Lissabon laufen. Aber, wer will das schon, wenn es einen Zug für € 2,95 pro Person gibt??? 😉

Und den hätten wir beinahe verpasst, obwohl wir rechtzeitig am Bahnhof angekommen waren. Einen kleinen Kampf hatten wir mit dem redlich Englisch kommunizierenden Ticket-Automaten ausgefochten und warteten am Gleis. Für uns logischerweise auf der rechten bzw. Flußseite. Als der Zug pünktlich aus Cascais anrollte, trauten wir unseren Augen nicht. Der fuhr LINKS!! 😯 Also Treppe rauf, Gleise überqueren, Treppe runter und – schnell noch ein Selfie – rein in den Zug. Geschafft. 🙂

Wir waren gespannt auf die Hauptstadt Portugals!

47. Etmal am 18. September von Porto nach Figueira da Foz – 64 Meilen, davon 54 segelnd

48. Etmal am nächsten Tag bis Nazaré – 40 Meilen, nur eine unter Motor

49. Etmal  am 22. September nach Peniche – 26 Meilen und wieder nur eine zum Hafenraus- und reinmotoren

50. Etmal am 23. weiter nach Oeiras/Lissabon – leider 51 Meilen mit Motor

Wenn schon 50 Etmale, dann gibt’s auch mal den aktuellen Meilenstand: 2066 Meilen, also 3826 Kilometer von Hamburg bis kurz vor Lissabon. WOW!!!

Unser Segel-Motor-Verhältnis liegt bei fast 1:1 (das darf man sich bei 967 zu 1099 ein bißchen schön rechnen… 😉 ).