Nette Überraschung in Pavilosta

Erst haben wir uns ja noch darüber gewundert, dass der Kastellhafen in Klaipedas Innenstadt (für unsere deutschen Verhältnisse) recht klein ist und auch der zweite Sportboothafen in Smyltinè nicht allzu viele Yachten beherbergte. Nach unseren weiteren Recherchen über nächstgelegene Häfen, erschien uns die Antwort sonnenklar.

Wohin soll der segelbegeisterte Litauer auch am Wochenende hinsegeln? Russland ist nah, aber schwer möglich und/oder unbeliebt, und dann kommt als nächstes schon Lettland. Das Haff ist in Teilen sehr flach. Die Küste besteht hauptsächlich aus Strand und der vorherrschende Westwind sorgt für reichlich Wellen – wie wir es auch Polen kennen – und schon ist das nächstmögliche Ziel 50 Meilen entfernt. Von den Segelnationen Dänemark, Schweden und Finnland ist Litauen also weit entfernt.

Für uns bedeutete das demzufolge, Liepaja in Lettland als nächsten Hafen anzupeilen. Die Windvorhersage machte uns happy, waren doch vier bis fünf Windstärken aus Südwest angekündigt, die uns halben Wind bescheren sollten. Erst einmal hieß es aber, morgens um sieben Uhr den Industriehafen Klaipeda zu verlassen – selbstverständlich nicht ohne Abmeldung bei der Küstenwache. Kaum hatten wir die halbe Strecke bis zur Hafenausfahrt zurückgelegt, wurden wir über Funk angesprochen und mussten erneut Namen, Nationalität, Anzahl der Personen an Bord und unseren Zielhafen angeben. Hm, als wenn die das nicht alles wüssten bzw. via AIS sehen könnten… Egal, brav erledigt, das Großsegel in dem noch geschütztem Gewässer hochgezogen und dann raus auf die Ostsee. Wow, was für Wellen kamen uns da entgegen?! Und starker Wind mit sechs Beaufort genau auf die Nase. Für unseren Kurs und die nächsten zwei Stunden bedeutete das mit reichlich Schräglage am Wind zu segeln. Und wir beide brauchten einige Zeit, um unsere Körper entsprechend anzugewöhnen. Irgendwie hatten die Muskeln nur rollende Wellen von hinten oder Nullwelle an Land in Erinnerung… komisch, aber so kam es uns vor.

Kurs- und Windveränderungen sorgten dann aber für neun berauschende Segelstunden unter Vollzeug.

Kein Wunder, dass wir unterwegs unser Ziel überdachten und 20 Meilen weiter nach Norden verlegten. Außerdem hätten wir in Liepaja am einzigen Yachthafen innenstadtnah vor einem Hotel gelegen – und uns zog es endlich wieder in die Natur.

Wir erklärten Pavilosta zum Tagesziel und wurden dort um 19.30 Uhr direkt vom Hafenmeister im Empfang genommen. Auf unseren Funkspruch hat zwar niemand reagiert, uns halfen aber gleich zwei deutschsprechende Männer beim Anlegen. Grid, den Hafenkapitän erkannten wir sofort: wir hatten ihn im Januar auf der Bootsmesse in Düsseldorf kennengelernt, als wir uns über Lettland und Estland informierten. Der zweite war Wolfgang, der mit seiner lettischen Frau in Pavilosta lebt und von dessem Schiff im Hafen die deutsche Flagge weht. Was für ein netter Empfang.

Freitag stand dann ganz im Zeichen unaufgeregter Aktivitäten

inklusive Strandspaziergang und örtlicher Radtour.

Der Ort zeigt sich mit einer breiten Mischung aus alten Fischerhütten, teils verfallenen Industrieanlagen, mehreren Parks und sehr modernen Holzhäusern – irgendwie ganz charmant und ganz normal.

Außerdem haben wir Carlotta auf den angekündigten Sturm vorbereitet.

In der Nacht zu Samstag tobte Eduard, der Ex-Hurrikan aus der Karibik über Skandinavien und erreichte das Baltikum in den Morgenstunden. Auch, wenn wir alle potenziellen Klapper-, Quietsch- und Schlagquellen minimiert haben, trieb mich der dröhnende Wellenschlag morgens um fünf aus dem Bett zur Fenderkontrolle an Deck und dann auf das Salonsofa. Da der Spuk bis mittags dauerte, hatten wir ausreichend Zeit die aufgepeitschte See am Strand zu bewundern.

Wir haben uns bis ans Ende der Mole vorgekämpft und mit Ehrfurcht und Respekt das Naturschauspiel beobachtet. Die Surfer waren natürlich voll in ihrem Element.

Pavilosta ist übrigens auch als Surf-Hotspot mit entsprechenden Shops und Bars bekannt, wenn auch alles recht klein und überschaubar bleibt. Auf jeden Fall trafen im Laufe des Samstags viele Besucher ein, meist junge Familien bzw. junggebliebene coole Typen in schicken Autos. Viele wollten evtl. das geplante Fischermannsfest besuchen, das aber, coronabedingt ausfiel bzw. nur im Kleinen stattfand.

Zum einen gleich hinter dem Hafen, wo zwei Musiker bekannte Stücke spielten. Wir hatten schon davon gehört, dass die Letten gerne singen und tanzen, und erlebten dies auch hier. Zum anderen gab es eine wohl private Feier, zu der unser Hafenmeister im Königsgewand über den Fluss fuhr, mit großem Hallo gehuldigt wurde, und wo die Familien bis spät am Lagerfeuer saßen.

Wir hatten nachmittags noch ein großes Motorboot beobachtet, das gegenüber an der Tankstelle festgemacht hatte – und wunderten uns, warum es so lange dort lag. Als wir eine Stunde später auf unserer Radtour dort ankamen – auch wir wollten am kommenden Tag dort Diesel aufnehmen – tankte der Skipper immer noch. Ein Blick auf die Anzeige, und wir fielen fast in Ohnmacht: 900 Liter, und es lief und lief. Der Eigner berichtete uns freimütig von seinem 2000 Liter-Tank und einem Verbrauch von 500 Litern pro Stunde bei 32 Knoten (ca. 60 km/h) Fahrt. Ok, kurz gerechnet: er muss also alle vier Stunden an eine Tankstelle…was für ein Wahnsinn, was für eine Ressourcenverschwendung. Und ihm ging es eindeutig nicht ums Geld; das Warten beim Tankvorgang und die notwendigen Stopps bzw. Umwege schienen ihn mehr zu stören. Mein Gott, warum kauft sich der Mann nicht ein Flugzeug???

Bei unserer Rückkehr zum Schiff lief uns Wolfgang über den Weg, den wir nach einem Schneider im Ort befragten. Micha Outdoorhose war an einer Tasche aufgerissen und lechzte nach einer professionellen Reparatur. Überraschenderweise verwies Wolfgang auf seine Frau und lud uns zu sich ein. Somit hatten wir die Gelegenheit, noch mehr über das Leben in Lettland, besonders in aktueller Zeit zu erfahren, und erhielten im Tausch gegen einen deutschen Weißwein eine perfekt genähte Hose zurück. Ja, die Begegnungen machen es aus! Super nett!

Die Prüfung aller Wetter-Apps ergab eine klare Tendenz zur Weiterfahrt am Sonntag, wo wir Ventspils im Nordwesten erreichen wollten, um dann (endlich) in die Inselwelt Estlands vorzudringen.

Wie geplant tankten wir morgens und gelangten dann knapp sechs Stunden später nach Ventspils/Windau. Es lohnt sich dort auf keinem Fall, Fotos im Sportboothafen zu machen. Dieser liegt zum einen dicht an maroden Industriegebäuden und zum anderen vor einer Baustelle. Einen Teil des Hafens hat man schon modernisiert, aber das eigentliche Hafengebäude direkt vor unserem Bug wird kernsaniert, wobei der Zugang zu den sanitären Einrichtungen noch möglich ist (und diese, zumindest im Damen-Trakt 😬, ordentlich zu nutzen waren). Trotzdem waren wir froh, an einem Sonntag vor Ort zu sein – Montagmorgen tummelten sich nämlich ab acht Uhr zig Handwerker auf der Baustelle.

Die Sonne ließ sich an diesem Sonntag erst ab 20 Uhr blicken, und das herrliche Licht motivierte uns zu einer späten Radtour. Zuerst zum Strand,

vorbei an einigen Parks,

durch die Stadt bis zur Ostpromenade und über den Marktplatz wieder zurück zur Carlotta.

Uns zeichnete sich ein differenziertes Bild von der Stadt. Eine Stadtmitte mit Altstadtkern oder auch Einkaufsläden konnten wir so nicht erkennen. Immer mal wieder erkannten wir schön renovierte Gebäude und Bereiche, aber gleich daneben auch hohe Wohnblöcke oder beschädigte Häuser. Auch an der großzügig gestalteten Kaianlage gegenüber des Kohlehafens gab es zwar viele Bänke, aber keine Cafés oder Restaurants und, vor allen Dingen, kaum Menschen. Wo waren die alle? Es ist doch Hauptsaison, ein sonniger Sonntagabend (ok, mit frischem Wind), aber die Stadt erschien uns eindeutig zu leer, fast unbewohnt.

Kein Grund also, länger zu bleiben, und so bereiteten wir Montagvormittag den Gennaker vor und freuten uns auf eine Leichtwindtour nach Estland.

9. Juli von Klaipeda nach Pavilosta/Lettland
12. Etmal: 75 Seemeilen – 65 segelnd und 10 mit Motor

12. Juli von Pavilosta nach Ventspiels
13. Etmal: 36 Seemeilen und nur drei davon unter Motor