Hochsommer auf Saarema und Muhu

„Zahlreiche Studien belegen, dass BLAU die Lieblingsfarbe aller Zivilisationen ist und das schon seit mindestens zweihundert Jahren.“ (Arthur und die Farben des Lebens; Jean-Gabriel Causse). Aufgrund der Farbe des Himmels – zumindest bei unserer wolkenfreien Lieblingsfärbung – und der Widerspiegelung im Wasser steht Blau für Ferne, Sehnsucht und Klarheit und erhält damit eine ausgleichende, beruhigende und mäßigende Wirkung. Sehen wir gar einen endlos blauen Himmel, dann kommt für diese Beständigkeit noch Harmonie, Sympathie und Zufriedenheit hinzu (wo Wikipedia recht hat, hat es recht).

Ganz anders das ROT. Eine Farbe, die für uns mit Leben, Liebe, Energie und Wärme verbunden ist. Eine Signalfarbe, die auch für Warnung und Aggression steht und die auf jeden Fall immer Aufmerksamkeit erzielt. Und in der russischen Sprache ursprünglich auch die Bedeutung von „schön“ besaß.

Vielleicht ist dem einen oder anderen ja schon klar, worauf mein Philosophieren hin abzielt. Denn, diese einzigartige Farbkombination findet sich nun mal in unserem geliebten Gennaker wieder und verdient daher eine besondere Betrachtung. Wirft man die oben aufgeführten Stichworte in einen Topf und mischt noch etwas Weiß hinzu, kann ein Gennaker gar nicht anders, als unsere CARLOTTA mit der richtigen Mischung aus Kraft, Schönheit und Sanftheit voran zu treiben (ok, wenn man denn seine Zicken kennt und ihn richtig dosiert 😉)

Die folgenden Tage standen jedenfalls ganz im Zeichen von achterlichem Leichtwind und versprachen damit eine Menge Gennakerzeit.

Zuvor erlebten wir allerdings beim Verlassen des Ankerplatzes eine böse Überraschung. Wir hatten ja im Südosten der Insel Saaremaa unser Nachtlager aufgeschlagen und waren, aufgrund der vielen Untiefen dicht an der Küste, weiter draußen geblieben. Laut Navi konnten wir sichere ein bis zwei Meter Wasser unter unserem Kiel verzeichnen. Langsam motorten wir los, fast auf der Linie unseres Anreise-Tracks, und auf einmal knallte und rumste es gewaltig. Der Getränkehalter am Steuerstand flog aus seiner Halterung, unter Deck sauste so Manches gen Boden, und ich bekam fast eine Herzattacke. Wir waren frontal gegen einen Felsen gefahren.

Man kann sicher sagen, dass wir es aufgrund unserer nordskandinavischen Segel- und Ankererfahrung wirklich gewohnt sind, auf Steine unterhalb der Wasseroberfläche aufzupassen. Aber sowas, einen nicht-markierten Felsen, hatten wir noch nicht erlebt. So ein Scheiß! Ok, durchatmen, langsam weiter tuckern und mögliche Schäden durchdenken. Wir haben schließlich einen mit Blei gefüllten Kiel, der mit starken Bolzen am Rumpf befestigt ist. Und die saßen weiterhin fest und zeigten keine Risse im näheren Umfeld. Je länger wir darüber nachdachten, desto weniger hielten wir einen echten Schaden für realistisch. Tauchen war leider keine Option, da die Sicht in der Ostsee maximal einen Meter beträgt und unsere Actioncam ohne Unterwasserscheinwerfer keine Hilfe darstellt.

Der Kiel wird sicher Beschädigungen im GFK vorweisen, die aber in Ruhe beim nächsten Kranen ausgebessert werden können. Wir verließen (und verlassen) uns auf die stabile, dänische Bauweise von Nordship und setzten unsere Fahrt respektvoll-beobachtend und mit etwas Herzklopfen fort.

Drei Stunden später kamen wir im Hafen von Kuressaare, dem Hauptort von Saaremaa an

und wurden vom engagierten Hafenmeister zu einem Liegeplatz in dieser äußerst leeren Marina gewunken. Er berichtete uns später, dass wir ungefähr das zehnte deutsche Schiff in diesem Jahr seien… oh je, das sind Wenige. Allerdings füllte sich der Hafen im Laufe des Tages noch, und wir bekamen sogar deutsche Stegnachbarn. Die REA aus Glückstadt, eine auffällig weiß-orange Ketsch, die wir schon in Klaipeda auf die Ferne und unterwegs immer mal wieder im AIS gesehen hatten.

Die Kleinstadt hat auch einen deutschen Namen, und wir witzelten gerne darüber, dass man von Winsen aus über 1800 Kilometer mit dem Auto fahren muss, um nach „Arensburg“ zu gelangen (mit dem Segelschiff ist es übrigens kürzer!!). Unsere Ortserkundung starteten wir in der Bischofsburg, die schon bei unserer Zufahrt früh in unser Blickfeld gelangt war. Sie wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts errichtet und ist die am besten erhaltene mittelalterliche Burg im Baltikum.

Ein beeindruckender Bau, dessen geometrische und fast fensterlose Architektur den Eindruck von Uneinnehmbarkeit vermittelt – und in dessen gepflegter Anlage heutzutage auch open air-Konzerte stattfinden.

In der Innenstadt bilden die schön restaurierten Gebäude mit Blumenschmuck, kleinen Läden sowie vielen Restaurants und Cafés einen angenehmen Kontrast zur historischen Festung. Auch Kuressaare ist nicht überlaufen, und so konnten wir das Stadt- und Hafenleben mal wieder genießen.

Zurück in der Marina, griff unser Hafenmeister auf unsere Frage hin sofort zum Telefon und arrangierte für uns einen Mietwagen für den kommenden Tag. Würde irgendwas zwischen 30 und 50 Euro kosten und der Wagen käme am Morgen um neun Uhr direkt zu uns. Ok, er wird schon wissen, wen und was er uns empfiehlt.

Es gibt auf Saaremaa drei „offizielle“ Sehenswürdigkeiten, die MAN gesehen haben muss. Wir, als temporäre Kulturbanausen, ließen hiervon eine links liegen, da uns ein Wasserloch mitten im Wald nicht so begeistert (nun gut, es handelt sich um den ersten wissenschaftlich bewiesenen Meteoritenkrater in Europa, den ein 80 Tonnen Gestein vor über 3000 Jahren hinterließ 😳). Somit starteten wir am frühen Vormittag in Panga an der westlichen Steilküste, die mit rund 20 Meter Höhe ganz schön steil ist und uns ins herrlich klare Wasser weit unten blicken ließ.

Weiter ging es nach Angla, zur Hochebene der Insel, wo sich fünf alte Windmühlen besichtigen lassen.

Eine schöne Anlage mit verschiedensten, historischen Gerätschaften aus der Landwirtschaft. Dazu ein paar lustige Ziegen, Gänse, Enten und Schlappohrhasen – und zum Glück Cappuccino und einen Cookie als zweites Frühstück. Zuviel einseitige Kultur könnte ja ohne Leibesstärkung schaden… Aber, im Ernst, die Mühlen und ihre Technik sind wirklich toll; leider dort nicht mehr in Betrieb.

Wir folgten der Hauptstraße über den Damm auf die Insel Muhu (mein Gott, wir lieben diesen Namen „Muuuhuuuu“ ) und dort zuerst in den Ort Liiva, der an einer Kreuzung einige Geschäfte, den Supermarkt, Cafés und DIE legendäre Bäckerei beheimatet (und mehr Ort gibt es dann auch nicht…). Jetzt stellt Euch aber nicht eine klassische Bäckerei vor. Man folgt dem Duft frisch gebackenen Brotes in einen Hinterhof, dort in einen Flur eines fensterlosen Gebäudes und stellt sich in die Schlange vor einer Tresentür. Der Hinweis „three minutes“ lässt alle entspannt warten. Dann werden zwei Dutzend dunkle Brotlaibe aus einem Ofen auf einen großen Holztisch gefegt und eins davon – heiß dampfend – in eine Tüte für uns gepackt. Den restlichen Tag wollten wir eigentlich unser Auto aufgrund des leckeren Duftes nicht mehr verlassen (und es schmeckte dann auch so gut wie versprochen).

Wir folgten noch einer Empfehlung ins Restaurant Tuul Resto, das ebenfalls an dieser Kreuzung liegt, aber einen wunderschönen Garten vorweist. Da will „man“ gar nicht wieder weg…

Allerdings zog mich die Werbung des World’s Northern Winehouse magisch an…🍇🍷 Die Veinitalu wurde 2012 von einem Finnen aufgebaut, der seitdem verschiedene Rebsorten ausprobiert, kreuzt und dies Jahr (wohl erstmals) von einem ausgezeichneten Weißwein spricht. Die Insel Muhu hat zwar überproportional viele Sonnenstunden, aber, ich sag mal, wer Riesling mag, wird hier glücklich…

Wir näherten uns lieber dem Ort Koguva, der eine Ansammlung von Bauernhöfen aus dem 19. Jahrhundert aufweist. Die parkähnliche Landschaft, die mittlerweile in ein Museum umgewandelt wurde, ist besonders für ihre moosbewachsenen Steinmauern bekannt (was sich später im Video betrachten lässt).

Spät nachmittags reichte uns das Asphaltschrubben. Auch, wenn man größtenteils durch dünnbesiedelte Wald- und Wiesenlandschaft fährt und das Verkehrsaufkommen eher an Sonntagmorgen sieben Uhr auf der A1 erinnert, waren wir froh nach rund 150 km und acht Stunden wieder bei CARLOTTA anzukommen. Ein Sundowner im Cockpit mit Blick auf den lokalen Traditionssegler

und später über die Hafeneinfahrt hinaus versetzten uns wieder in eine friedvolle Urlaubsstimmung.

Zwei Dinge, die ich Euch nicht vorenthalten möchte: zum einen das Riesenehepaar Töll und Pirit, das vor langer Zeit den Fischern und Inselbewohnern von Saaremaa hilfreich zur Seite stand

und zum anderen das elegante Sitzmöbel, dem Micha natürlich nicht widerstehen konnte.

Nach zwei Nächten verließen wir Saaremaa am 17. Juli und segelten weiter in Richtung Nordosten mit dem Ziel, mal wieder zu ankern.

 

13. Juli von Ventspils nach Saaremaa – Ankern vor Kaava
14. Etmal: 45 Seemeilen, davon 17 unter Motor

15. Juli vom Ankerplatz in den Hafen Kuressaare auf Saaremaa
15. Etmal: 18 Meilen per Motor