Endlich in Frankreich!

Nachdem sich abends der Wetterwechsel mit Gewitter und Schauern in Cadzand angekündigt hatte, gab es morgens keine Überraschungen: grauer Himmel, Nieselregen und 17 Grad – die Fleecepullis für die geplante Segeltour lagen schon bereit, und wir hatten eigentlich große Lust weiterzufahren und endlich französischen Boden zu betreten.

Und, als dann im Hafenbecken ein schnurbärtiger Kopf mit Kulleraugen auftauchte und auf uns zu schwamm, schenkte uns „Robbie“ einen wunderbaren Start in den Tag. Diese Robbe war gar nicht scheu, beobachtete uns und schien zwei Fragen zu haben: „habt ihr ‚ne Makrele für mich und spielt ihr mit mir??“ So sah es wirklich aus. Total schnuffig.

Mit einem Grinsen im Gesicht legten wir ab und setzten Kurs Richtung Südwest. Wie geplant, wollten wir Belgien links liegen lassen. Zum einen, weil Reisende aus Holland dort evtl. in Quarantäne müssten und wir keine Lust auf Diskussionen für Doppeltgeimpfte hatten und zum anderen, weil uns kein Stopp dort attraktiv erschien. Belgien besitzt rund 50 Meilen bzw. 80 Kilometer Küste, die von See aus betrachtet eher eintönig aussieht und sich Strand, Orte und Großindustrie abwechseln. Wir hatten unsere Zielmarkierung daher auf Gravelines gesetzt. Nur knapp vier Meilen hinter Dünkirchen der nächste Hafen, den man allerdings nur bei Hochwasser erreichen kann.

Auf dem Bild ist gut zu erkennen, dass die Zufahrt bei Niedrigwasser trockenfällt. Wir hatten unsere Ankunft daher für den Abend kalkuliert und liefen passend in den Kanal ein. Hier meldeten wir uns über Funk beim Hafenmeister an, durchfuhren 20 Minuten später die Schleuse und wurden von einem kleinen, alten Franzosen (mit ohne Zähne… 😉 ) begrüßt. Wieder ein Hafen, der recht leer erschien, was bei der etwas aufwendigeren Zufahrt vielleicht auch verständlich ist.

Wir hatten jedenfalls sofort Gelegenheit (bzw. die Notwendigkeit), Französisch zu sprechen, zumal Le Monsieur uns freudestrahlend über die deutschen Siegtore gegen Portugal unterrichtete.

Der Revierführer hatte uns ein sehr engagiertes Hafenmeisterteam versprochen, und so erlebten wir unsere Gastgeber auch die nächsten zwei Tage. Und je mehr wir unser Französisch rauskramten, desto besser klappte die Kommunikation – und ermöglichte wohl den Preisnachlass für die Fahrradmiete.

Das wechselhafte Wetter bescherte uns Sonne am zweiten Tag und erlaubte Gravelines sich von seiner besten Seite zu zeigen. Wir erforschten die Grünanlagen rund um die historischen Festungsmauern

und radelten den Kanal entlang in Richtung Meer. Eine Ausfahrt per Boot wäre an diesem Nachmittag eher unmöglich gewesen… 🙄

An unserem Ablegetag war logischerweise auch morgens kaum Wasser im Hafenbecken – wofür war noch gleich das Schleusentor eigentlich da???? 😮

Gegen elf Uhr waren die sicheren vier Meter Tiefe vorhanden, und wir motorten zur Nordsee. Die Windvorhersage hatte uns mindestens fünf Windstärken versprochen, die uns von schräg hinten nach Boulogne-sur-Mer schieben sollten. Zuvor mussten wir allerdings erstmal raus aus dem Kanal, wo sich –  im noch relativ flachen Wasser – die Wellen nur so türmten und brachen. Wow, da mussten wir geradeaus durch. Der Windmesser stand bei sieben ❗ Beaufort – kurz trafen sich unsere Blicke und die Frage, ob wir umkehren sollten. Nein, CARLOTTA kann das, und wir probierten mal weiter ins Tiefe zu kommen und in Kursrichtung zu drehen. Die Höhe der Wellen war allerdings äußerst respekteinflössend (und vor lauter Festhalten, gibt es dazu natürlich kein Foto 😉 ).

Aus den sieben wurden in Böen acht Windstärken, und wir fühlten uns an den Törn im letzten Jahr vor der polnischen Küste erinnert (da hatte das Wetter sogar eine 9er Böe im Gepäck…).

Auf jeden Fall schaukelten wir uns ein und düsten, nur von der gerefften Genua gezogen, voran.

Sommer-Outfit mit Sicherungsleine

Bereits nach fünf Stunden trafen wir um 16 Uhr in der breiten Einfahrt Boulognes ein und freuten uns schon auf die heißen Gulaschreste vom Vortag. Wie gebannt, blickten wir dabei auf dicke, schwarze Rauchfahnen, die plötzlich über dem Industriehafen aufstiegen – und standen auf einmal still 😯 . Wer genau hinschaut, ahnt sicher, was uns passiert ist.

Wir sind im Vorhafen auf Grund gelaufen!

Und das bei unserer exakten Planung und üblichen Vorsicht. Die Hafeneinfahrt in Boulogne-sur-Mer ist irre breit und besteht zu zwei Dritteln aus einer Sandbank, die bei Niedrigwasser fast sichtbar ist. Die hatten wir erwischt, da wir vom vermeintlichen Brand im Hafen abgelenkt waren. Es gibt dort aber auch weder Gefahrentonnen noch Fahrwasser-Markierungen. Wir probierten sofort, zurück zu motoren, steckten aber bereits tief im Schlick. Es gab kein Vor und kein Zurück, dafür aber die sofortige Kontaktaufnahme mit Port Control über Funk. Wir sahen uns ernsthaft in Gefahr und fürchteten in Kürze umzukippen. Immerhin lief die Tide noch ab.

Wir erfuhren, dass der aktuelle Pegel nur noch um 12 cm fallen würde, bis die Flut wieder einsetzte. CARLOTTA pendelte auf ihrem Kiel in der Brandung (bei mittlerweile sechs Windstärken), und wir schworen uns, dass wir sowas nie wieder erleben wollten! Nach gut zwei Stunden verhalf uns das steigende Wasser, frei zu kommen und unbeschädigt in den Hafen einzulaufen.

Das Titelbild stellt unseren Track zwischen 16 und 18 Uhr dar, und man kann die minimalen Schiffsbewegungen über dem Grund bis zum Freischwimmen erkennen. Das brauchen wir echt niemals wieder!

Auf jeden Fall kamen wir zweieinhalb Stunden später – und um ein paar graue Haare reicher – an unsere warme Mahlzeit. Erst danach ging es zum Anmelden zum Hafenmeister 🙂 . Und da wir nun wirklich eine schaukelarme Nacht erleben wollten, wechselten wir abends nochmals den Liegeplatz. Der starke Wind hatte gedreht, drückte uns genau seitlich auf den Fingersteg und zerrte gewaltig an unseren Ruckdämpfern. Irgendwie waren wir an diesem Tag hart im Nehmen und kämpften uns, mit Hilfe engagierter Liegeplatznachbarn, an einen besseren Platz. Gute Nacht!

So richtig einladend erschien uns die Stadt nicht. Lag sicherlich auch an dem regnerischen Wetter, das uns aber vormittags nicht von einem Besuch auf dem (täglichen) Fischmarkt abhalten konnte.

Der Chef de la Cuisine baute unser Induktionsfeld im Heck auf, und kurze Zeit später genossen wir das Frischgebratene mit Pellkartoffeln unter Deck (und blieben vom nachhaltigen Bratenduft in der Pantry verschont).

Mit diesem imposanten Sonnenuntergang (und mit Hoffnung auf einen freundlicheren, nächsten Segeltag) verabschiedete sich die aufregende Zeit in Boulogne-sur-Mer.

 

8. Etmal am 19. Juni von Cadzand nach Gravelines / Frankreich: 58 Meilen, davon 24 segelnd

9. Etmal am 21. Juni weiter nach Boulogne-sur-Mer: 35 Meilen, anstrengende 30 davon unter Segel