So eine Nachtfahrt braucht keine Wiederholung

Die Sonnenuntergangspracht vom Vorabend hielt ihr Versprechen nicht. Morgens türmten sich die ersten Wolken, und der Wind frischte ordentlich auf. Allerdings aus einer vorteilhaften Richtung, die uns weiter nach Süden bringen würde.

Unsere heutige Streckenplanung sah wie ein schnörkelloser Strich von Nord nach Süd aus uns verband Bologne-sur-Mer mit der Stadt Dieppe in elf Stunden Entfernung. Bei der Hafenausfahrt hatten wir nochmals die Gelegenheit, unsere Sandbankerlebnisse Revue passieren zu lassen…

Ok, abgehakt, weiter geht’s. Kaum waren wir nach links abgebogen und hatten Segel gesetzt, kam auch schon der versprochene Regen – direkt von hinten ins Cockpit. Wir mussten gar nicht darüber sprechen, verstauten die Kissen unter der Sprayhoodablage, setzten die Schotten ein, zogen die Luke zu und verkrümelten uns in den Salon. Der Autopilot kannte seinen Kurs, die Genua war richtig eingestellt, und es gab nichts für uns zu tun. Genau dafür haben wir eine Decksalonyacht!

Zehn Stunden später hatte der Wettergott ein Erbarmen mit uns und schenkte uns eine trockene Phase auf den verbleibenden zwei Meilen bis Dieppe. Port Control erwartet von dort eine Anmeldung per Funk, da alle Boote mit dem Fährverkehr koordiniert werden – und erteilte uns die Einfahrterlaubnis. Wir fahren froh, uns bei dem Wellengang und der Querströmung, die Zufahrt nicht mit der riesigen Fähre teilen zu müssen. Die zweite Anmeldung galt dem Hafenmeister, der uns einen Liegeplatz zuwies. Sowas ist allerdings eher als Empfehlung zu verstehen, da man sich bei drei großen – wenig überraschend – eher leeren Gastliegestegs gut ein passendes Plätzchen aussuchen konnte.

Wenn wir schon in Gravelines vom Tidenhub beeindruckt waren, stellt Dieppe das wirklich in den Schatten. Wir waren kurz vor Niedrigwasser dort angekommen und hatten den freien Blick auf … enorm hohe Mauern! 😉 Aktuell ist Springtide, so dass der Tidenhub noch extremer ausfällt, was für Dieppe 8,50 m bedeutet und Konsequenzen für den Neigungswinkel der Stegbrücken hat:

Morgens befanden wir uns fast auf Augenhöhe mit dem Promenadenasphalt und sogen die mediterrane Atmosphäre der Stadt in uns auf.

Wir fühlten uns unseren Zielen ein ganzes Stück näher gekommen und genossen den südländischen Flair der Häuser und Altstadtgassen.

Selbstverständlich suchten wir erneut den Fischmarkt auf und ließen uns eine uns unbekannte Variante empfehlen. Auf dem Wochenmarkt erstanden wir u.a. geschmacksintensive Tomaten aus der Provence und fühlten uns beim Mittagsschmaus wie Gott in Frankreich. 😉

Nachmittags drehten wir eine zweite Runde durch die Stadt und besuchten die Kirche St. Jaques, die zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert (aus)gebaut wurde.

Für den Rückweg wählten wir die Küstenpromenade. Der steinige Strand an der sogenannten Alabasterküste hier in der Normandie bietet einen wunderbar farblichen Kontrast zum Türkis des Meeres und Blau des Himmels.

Die leuchtende Farbenvielfalt musste am nächsten Tag leider dem Regeneinheitsgrau weichen, und wir verbrachten viele Stunden unter Deck, umgeben von Revierführern, Navigationstools und Wetter- sowie Strömungsvorhersagen. Egal, wie wir es drehten und wendeten, unsere Möglichkeiten für die nächsten Tage machten uns nicht glücklich. Es gab nur ein Ziel, das in rund sechs Stunden erreichbar wäre, uns aber nicht reizte. Dann lieber gleich deutlich weiter bis Le Havre, wo wir tidenunabhängig spät abends ankommen konnten.

Oder doch den stärkeren Ostwind nutzen, um die große Bucht komplett zu queren und gleich bis Cherbourg zu fahren?? Ja, das sollte es werden. Auch, wenn wir damit vielleicht die eine oder andere attraktive Stadt verpassten, aber wir hofften, dem kalten Regenwetter schneller zu entfliehen. Viele andere attraktive Orte lägen eh noch vor uns.

Sobald die Tidenströmung am nächsten Tag mit uns war, legten wir in Dieppe ab. Kaum hatten wir das Großsegel im Fähren-freien Vorhafen gesetzt, ein paar Meter weiter die Genua dazu gestellt, nahmen wir bei halbem Wind herrlich Fahrt auf. Da konnte uns der kräftige Regenschauer nichts anhaben, zumal er anschließend eine beeindruckende Kulisse hinterließ.

Mit einsetzendem Regen und mittlerweile komplett achterlichem Wind reduzierten wir auf die Genua und kamen bis 21 Uhr wirklich gut voran.

Nun setzte der Gegenstrom ein. Der Wind fühlte sich aufgefordert gegen zu halten und frischte auf. Die Wellenberge gewannen an Höhe, unsere Fahrt verlangsamte sich, der Regen wurde stärker, wir bargen das Segel und starteten den Motor. Kurz vor Sonnenuntergang trat Zwischenruhe ein, und wir erhaschten noch einen schönen Fernblick.

Wir hatten unser Garmin Inreach aktiviert, so dass stündlich eine Standortmeldung über NoForeignLand auf unserer Website landete. Wir nutzen diese Satellitentechnik auf langen Strecken weit ab vom Land, auf denen wir kein Netz haben. Dadurch verfügen wir auch über eine Notrufmeldung, sollte das Funken mal nicht möglich bzw. kein Schiff in der Nähe sein.

Und so ging es in die Nacht, die wir bei mittlerweile sechs Windstärken – oh man, kein Verlass auf die Windvorhersagen – natürlich unter Deck verbrachten. CARLOTTA wurde reichlich durchgeschüttelt und wir gleich mit. An Schlaf war da nicht zu denken, weder gut abgepolstert im Bett noch in der Leekoje im Salon. Die Wellenausrichtung büßte sukzessive ihre einheitliche Struktur ein: es kamen zwar alle paar Minuten zwei, drei Riesenbrecher, die dann aber leider aus verqueren Richtungen… 🙄 .

Einer von uns hatte immer die Navigation mit AIS sowie das Radar im Blick. Bis auf die gewaltigen Regenschauer waren wir stundenlang ziemlich allein da draußen.

Gegen 2.30 Uhr beobachtete Micha mit zunehmender Unruhe einen Frachter, der von Le Havre kommend, auf uns zu hielt und nur durch unseren Funkruf „aufgeweckt“ wurde. „Neptun Galene, Neptun Galene for Sailingboat Carlotta.“ Sein Reaktion kam zum Glück prompt; da saß also wirklich jemand am Steuerstand: “Carlotta?” –  „Can you see us??“ „No“, war die schlichte Antwort. Oh man, „We see you on our AIS and please steer 10 degree to starboard” – wenn er also zehn Grad nach rechts steuern würde, gäbe es keine Kollision…der hatte uns echt nicht gesehen, komisch. Wahrscheinlich hatte er nur auf sein Radar geguckt, und wir waren unter den großen Regensignalen versteckt. Seine Kurskorrektur war deutlich zu erkennen, und Neptun Galene fuhr mit ausreichend Abstand schräg hinter uns durch. Puh!

Ab drei Uhr drehte die Strömung und zog immens an. Je näher wir der Landspitze vor Cherbourg kamen, desto stärker wurde sie. Von den enormen Strömungsgeschwindigkeiten, besonders zwischen dem Festland und den Kanalinseln hatten wir ausreichend gelesen. In natura fühlte sich das unglaublich an. Wir düsten mit über elf Knoten Speed dahin.

Nachtansicht unseres Navi-tools iSailor

Wobei wir bei der nächsten “Problematik” ankamen: wir waren einfach zu schnell!

In vergleichbaren “An-Land-Situationen” sitzt man da im Auto, fährt statt der beschaulichen 100-120 kmh mal 200 Sachen und realisiert auf einmal den fetten Gewitterschauer vor einem bzw. dass man zum Kaffeetrinken bei den Freunden viiiil zu früh ankommen würde. Ganz einfach, dann geht man vom Gas und/oder bremst. Kein großes Ding, einfach zu tun. Nicht so an Bord. Eine klassische Bremse gibt es nicht, dafür wird der Rückwärtsgang genutzt – sicher aber nicht bei diesen Wind- und Wellenbedingungen. Genausowenig wie “in den Wind drehen” oder ein “Segel back stellen” (was wir ja eh nicht draußen hatten)… es läuft eher nach dem Prinzip: Augen auf und weiter so. 😉

Sonnenaufgang war erst gegen sechs Uhr, und wir hatten Sorge, unter diesen Bedingungen in Cherbourg einzulaufen. Natürlich kann man sich rein auf seine Seekartenansicht verlassen und davon geleitet durch die Tonnen manövrieren, ohne Tageslicht. Bei der Querströmung im unbekannten Terrain war uns das zu heikel. Außerdem waren wir wach und prüften kurzer Hand das nächstmögliche Ziel. Ob wir nun 18 oder 21 Stunden unterwegs sein würden, wo war da noch der Unterschied??

Tja, die zusätzlichen 25 Meilen waren im Prinzip unproblematisch; auch die Strömung nahm bereits ab, aber der Wind leider noch nicht. Somit blieben wir ein Spielball der Wellen, die wir mittlerweile nach Sonnenaufgang “bewundern” konnten. Nicht umsonst, empfehlen die Revierführer das Passieren dieses Abschnitts bei freundlicheren Bedingungen…

Je mehr wir uns in die Bucht Richtung Dielette vorarbeiteten, je flacher wurden die Wellen. Der starke Ostwind wurde vom Land ebenfalls abgeschwächt, und wir brausten mit den üblichen sechs Knoten auf das Land zu. Übrigens weiterhin unter Motor. In der Dunkelheit hätten wir bei diesen Meeresbewegungen auf keinem Fall Segel setzen wollen, und für die letzten Meilen lohnte sich das einfach nicht mehr. Wir waren außerdem damit beschäftigt, die Wasseroberfläche nach Netz- bzw. Reusenmarkierungen der Fischer abzuscannen und auszuweichen.

Der Hafen von Dielette wartet mit einer für uns neuen Tidenschutz-Variante auf:

Der erste Vorhafen fällt bei Niedrigwasser trocken, der zweite bietet (fast immer) zwei Meter Tiefe, und, wenn man die gemauerte Barre passiert, landet man im Innenbecken mit garantierten 2,50 m Wassertiefe an den vorderen Stegen.

Zeitlich passte es perfekt für uns, wir legten an – und gingen schlafen. Es war neun Uhr am Sonntag, dem 27. Juni, und wir hatten 133 Meilen in 21 Stunden absolviert. Nun reichte es. Bonne nuit, gute Nacht.

 

10. Etmal am 23. Juni von Boulogne-sur-mer nach Dieppe: 57 Meilen, davon läppische zwei unter Motor 😉

11. Etmal  am 26. Juni von Dieppe nach Dielette: 133 Meilen, leider nur 45 unter Segeln.